Kopf-an-Kopf-Rennen in Kroatien

Bei den morgigen Parlamentswahlen könnten die Konservativen die Mitte-links-Regierung in Zagreb ablösen. Am strikt proeuropäischen Kurs des Landes dürfte ein Machtwechsel nichts ändern

aus Zagreb ERICH RATHFELDER

Straßenkämpfe und Überfälle auf Kandidaten gibt es in Kroatien schon lange nicht mehr. In den letzten Jahren ist es ruhig und auch sicher geworden. Doch die morgigen Parlamentswahlen sorgen für Spannung. Denn es kristallisiert sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den beiden großen politischen Lagern heraus. Die von dem Sozialdemokraten Ivica Račan geführte Mitte-links-Koalition läuft Gefahr, ihre bislang ungefährdet erscheinende Mehrheit zu verlieren. Demgegenüber ist die um die Kroatisch-Demokatische Gemeinschaft (HDZ) gebildete Mitte-rechts-Koalition im Aufwind.

Dieser Umschwung ist für manche politisch wachen Geister im Lande kaum erklärlich. Die Philosophieprofessorin Nadezda Cacinović hatte noch unlängst den Eindruck, dass die Menschen mehr ans Private denken als an Politik. „Alles schien eingespielt, die Regierung hatte einiges erreicht.“

Nach dem Sieg der Sozialdemokraten über die HDZ im Januar 2000 hatte die Regierungskoalition, zunächst aus Volkspartei, Bauernpartei, Sozialliberalen, der istrischen Regionalpartei und liberalen Splittergruppen, begonnen, die Bürokratie zu verschlanken, die Wirtschaft zu reformieren und die totalitären Strukturen des Tudjman-Regimes zu beseitigen. Die Regierung ließ den Staatsmedien Spielraum, um sich von Propagandainstrumenten zu Informationsdienstleistern zu wandeln.

Mit Zuwachsraten von jährlich um die 5 Prozent erreichte die Koalition unter Ivica Račan einen beachtlichen Wirtschaftsaufschwung, Löhne und Renten stiegen. Zwar kletterten die Auslandsschulden von 9 auf rund 20 Milliarden Dollar, doch selbst kritische Beobachter wie der in Zagreb lebende Wirtschaftsexperte Hans Georg Fleck bescheinigen der Regierung, einen Großteil dieses Geldes in die Infrastruktur gesteckt zu haben.

Zudem tat Ivica Račan, anders als die HDZ, viel, Kroatien an die EU heranzuführen. Er löste die Integration Kroatiens von der anderer Balkanländer. Im März 2004 sollen bilaterale Verhandlungen beginnen. Kroatien kann hoffen, zu den Beitrittskandidaten 2007 zu zählen.

Doch gerade dieser Erfolg wird sich bei den Wahlen nicht unbedingt auszahlen. Denn auch der Gegenkandidat, Iva Sanader, gibt sich als überzeugter Europäer. An der Universität von Innsbruck promoviert, hat Sanader den klerikal-nationalistischen Stallgeruch seiner Partei hinter sich gelassen. Ihm gelang es als Generalsekretär, die Führungsstrukturen der HDZ zu entrümpeln. Die reformierte HDZ näherte er an die konservativen Parteien in Europa an. Italiens Premier Berlusconi zählt ebenso zu seinen Freunden wie Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber, der sich in Wahlspots für Sanader ins Zeug legt.

Jovial und kämpferisch auftretend, sammelte er Punkte gegenüber dem zurückhaltend wirkenden Exkommunisten Ivica Račan. Er spricht die nationalen Gefühle der Menschen an, ohne bezüglich der Wirtschafts- und Steuerpolitik zu konkret zu werden. Das Auslieferungsbegehren des Kriegsverbrechertribunals in Den Haag in Bezug auf den kroatischen General Ante Gotovina stützte seine Kampagne, ohne dass er explizit gegen Den Haag Stellung nahm.

Angesichts seiner grundsätzlich proeuropäischen Haltung sehen europäische Diplomaten denn auch keine Gefahr für eine Kursänderung im Fall eines Machtwechsel. Unter der Hand werden jedoch Befürchtungen laut: Die HDZ sei zwar von oben reformiert, nicht jedoch an der Basis. Indem Sanader die Medien als „einseitig“ kritisierte, weckte er Ängste, die Pressefreiheit würde begrenzt. Dass er kroatische Truppen in den Irak schicken will, stößt auf den Unwillen von Diplomaten US-kritischer Länder. Und da er mit den Rechtsliberalen und den Extremisten der Partei des Rechts koalieren will, könnte sich die politische Atmosphäre in und um Kroatien zum Negativen verändern.