Ex oriente Folk

FESTIVAL Zum dritten Mal versammelt das Festival „Folkart-Now!“ in der Spedition neue Lesarten von Folk – nicht nur musikalisch gesehen. Schwerpunkt: Ostseeküste

Von Andreas Schnell

Es ist viel geredet und geschrieben worden über den „neuen Folk“. Soeben erschien im Ventil-Verlag das Buch „For The Sake Of The Song“ (übersetzt in etwa: „Um des Songs willen“), das sich mit Musikern wie Bonnie „Prince“ Billy, Nina Nastasia, Joanna Newsom und Devendra Banhart auseinander setzt. Sollte das etwa schon der Nachklapp sein auf einen weiteren Hype, der für die alle paar Jahre notwendige ästhetische Auffrischung des Immergleichen sorgte?

Das Festival „Folk-Art Now!“, das gestern Abend eröffnet wurde, setzt sich über derartige kulturpessimistische Betrachtungen hinweg. Und schaut nach Osten. Damit ist man erstmal raus aus so genannten Pop-Diskursen um Hipness und bewegt sich in ganz anderen Diskussionen. Der Schwerpunkt der dritten Ausgabe des Festivals lautet „Mare Balticum“, vulgo: Ostsee.

Zwar kommen nicht alle teilnehmenden Künstler von der Ostseeküste, aber die meisten. Und Kurator Tobias Lange ist es dabei gelungen, auch die bislang künstlerisch hierzulande eher unerforschten baltischen Länder ins Programm zu holen. Womit nun endlich Zeit ist, den Ansatz des Festivals zu erläutern. Kernthese ist, dass es nicht nur in der Musik, sondern auch in bildenden Künsten und anderen Genres in den letzten Jahren einen verstärkten Rückgriff auf Tradition, Folklore oder zumindest Charakteristika wie reduzierte Form oder naiven Gestus gibt.

Folglich ist „Folk-Art Now!“ auch nur zum Teil ein Musikfestival, sondern präsentiert seit jeher auch eine Ausstellung sowie gelegentlich Filme zum Thema.

Und gerade der Blick in die Ausstellung ist da natürlich spannend, weil der Blick auf die Kunst unter diesen Vorzeichen schließlich kaum in den Galerien und Museen wiederzufinden ist. Jung sind die Künstler, viele kommen aus der Punk-Szene – ganz so wie ihre musizierenden Kollegen. Bei den einen wie bei den anderen lassen sich zwei grobe Grundlinien erkennen, die sich allerdings auch oft überschneiden. Es gibt den resignativen Bezug aufs Idyll, aber mindestens ebenso häufig den Bezug auf traditionelle Verfahren und Formsprachen, um damit Abgründiges zu formulieren. Und gemein ist beiden Richtungen für gewöhnlich ein Ethos der Selbstermächtigung, eine Do-It-Yourself-Haltung, die die Punks in den siebziger Jahren vielleicht nicht erfunden haben, aber als Prinzip nachhaltig popularisierten.

Eine weitere Parallele sowohl zu traditionellem Folk als auch zu Punk ist zweifellos so etwas wie die Suche nach unmittelbarem Ausdruck und damit einhergehend das Bedürfnis, ohne große Umwege mit dem Publikum zu kommunizieren. Und genau das macht dieses Festival zu einer höchst charmanten Veranstaltung, bei der man in Augenhöhe mit den Künstlern in Kommunikation treten kann. Vielleicht sogar in der Sauna: Teil des Programms ist nämlich die Schwitzhütte, die das deutsch-polnische Künstlerprojekt „Baltic Raw Org“ in den Räumen der Spedition einrichten wird.

■ Ausstellung bis 19. 12., Mittwoch bis Sonntag, 15-20 Uhr, Konzerte jeweils Freitag und Samstag, 21 Uhr, Programm unter www.folk-artnow.de, jeweils Samstag 16-17 Uhr auf UKW 92,5: Folk Art Radio, auch als Stream im Internet: www.schwankungen.de.