Das kleine Glück

ROTE FAHNEN Chen Jianghong: „An Großvaters Hand“

Wer sich in den Buchläden Pekings oder Schanghais auf die Suche nach besonderen Bilderbüchern für Kinder macht, der wird verzweifeln: Es herrscht die Ästhetik computeranimierter, hochglänzender und bonbonfarbener Künstlichkeiten à la Teletubbies vor, und meist geht es nicht ums Geschichtenerzählen, sondern ums wackere Lernen und darum, dass auch das eigene Kind im brutalen Gerangel beim Sozialaufstieg wird bestehen können. Man muss schon in Taiwan, Singapur oder Hongkong weitersuchen – oder bei chinesischen Autoren, die im erzwungenen oder freiwillig gewählten Exil leben. In Deutschland hat es bislang nur ein einziger Kinderbuchautor und -illustrator geschafft, dafür ist es einer der interessantesten.

Chen Jianghong, 1963 in Tianjin geboren, lebt seit 1984 in Paris. 2005 wurde sein Bilderbuch „Han Gan und das Wunderpferd“ mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet, 2006 sein Bilderbuch „Der Tigerprinz“ mit dem Rattenfänger Literaturpreis und dem Kinderbuchpreis Luchs. Nun ist „An Großvaters Hand“ erschienen, ein autobiografisches Buch, das von der Kindheit des Autors in China berichtet.

Obwohl die Kulturrevolution, von der da erzählt wird, aus deutscher Perspektive sehr fremd wirken mag: Alte wie junge Leser werden in die Bildgeschichten Chen Jianghongs so eingesogen wie die Tusche ins Reispapier, auf dem der Künstler arbeitet. Sie sind manchmal düster, manchmal fürchterlich – zum Beispiel die Darstellung der wutverzerrten Gesichter der Rotgardisten, die der freundlichen, kultivierten Nachbarin der Familie, die sogar ein Grammofon besitzt, an den Haaren ziehen, ihr ein Schild um den Hals hängen und eine Papiertüte auf den Kopf setzen. Oder die der Großmutter, deren einziger Trost nach dem Tod des Großvaters die Hühner sind, bis es verboten wird, Haustiere zu halten, und die Funktionärin des Viertels den Hühnern die Kehlen durchschneidet. Gleichzeitig geht es bei Chen Jianghong aber auch um eine Art Zauber, der selbst die Kulturrevolution überlebt zu haben scheint.

Der kleine Ich-Erzähler und seine Schwestern, sie geben trotz alledem nie die Suche nach kleinen Glücksmomenten auf. So laufen sie oft gemeinsam zu den ersten Touristenbussen, um die ersten Ausländer zu bestaunen, die nach der Kulturrevolution wieder nach China dürfen. Jianghong bringt seine Oma endlich wieder zum Lachen, als er beim Kartenspiel schummelt. Und als er danach das Fahrradfahren lernt, hat er „das Gefühl, die Welt erobert zu haben“. Kleine Binnengeschichten wie diese machen den Schmerz, um den es geht, erträglicher. Versöhnlich wirken sie deshalb noch lange nicht. SUSANNE MESSMER

Chen Jianghong: „An Großvaters Hand. Meine Kindheit in China“. Aus dem Französischen von Tobias Scheffel. Moritz Verlag, Frankfurt a. M. 2009. 77 Seiten, 24,80 Euro