PETER UNFRIED NEUE ÖKOS
: Eine Portion Bescheißerle

Früher versteckte man am Freitag das Fleisch vor dem lieben Gott in Nudelteig. Wir haben es vor unseren Kindern versteckt: Sie essen kein Fleisch, und wir haben ihnen trotzdem Maultaschen serviert. Es bleibt die Schuld, so oder so

Als ich nach Hause kam, stand Adorno an der Tür und machte sein „Mir ist großes Unrecht widerfahren, und du bist schuld“-Gesicht. „Was’n los, Django?“ Er sagte mit Grabesstimme: „Du hast mich ein Leben lang belogen.“ Mist. Ich überlegte angestrengt, welche von den ganzen Lebenslügen er meinte, die ich ihm in mittlerweile neun Jahren aufgetischt habe. Er sagte: „In den Maultaschen ist Fleisch.“

Da kam auch schon Penelope aus ihrem Zimmer und raste grußlos in die Küche. Als sie zurückkam, trug auch sie ihr Anklagegesicht und dazu einen Beutel tiefgefrorene schwäbische Maultaschen. „Dreizehn Prozent Schweinefleisch“, sagte sie und zeigte auf den Anfang vom Kleingeschriebenen. Ich überlegte, ob ich sagen sollte, dass dreizehn Prozent praktisch nichts sind, aber sie wedelte schon mit einem anderen Beutel: „Achtundzwanzig Prozent Schweinefleisch.“

Was für ein Debakel. Weil ich erst kurz vor acht zu Hause sein konnte, hatte ich den Kindern gesagt, sie sollten sich das Abendessen ausnahmsweise selbst machen. Offenbar hatten sie dabei zum ersten Mal die Packung studiert. „Schweinefleisch!“ Adorno sprach das Wort wie „Hühnerpisse“ aus.

Wir hatten beiden Kindern mehrfach versichert, dass in diesen Maultaschen kein Fleisch drin sei. Es gehörte zum Maultaschenritual. „Ist da Fleisch drin?“ – „Nee, da ist kein Fleisch drin.“ – „Gut.“ Doch nun war ich in Not: „Kinder! Ich bitte euch um etwas Geduld, bis eure Mutter zurück ist. Ihr könnt zwei Folgen „Türkisch für Anfänger“ schauen. Sagen wir drei. Danach werden sich eure Eltern gemeinsam zur Maultaschensache erklären.“ Sie schlichen zum Fernseher, ich schlich mich mit dem Mobiltelefon ins Bad, rief sie an und sagte: „Hör mal, wir haben eine Maultaschenkrise. Und zwar brutal.“

Wir probierten dann einige Erklärungen durch („nur ein Einzelfall“, „aus Versehen“), aber es war alles nichts. Warum hatten wir das überhaupt gemacht? Wir finden es gut, dass sie nicht auf Fleisch stehen. Sie hatten sich auf uns verlassen.

Aber hatten wir es nicht mit Gemüsemaultaschen versucht? Die hatten sie verweigert. Aber irgendwie muss man Vegetariern doch ihren Eisenanteil zuführen, wenn sie es mit Hülsenfrüchten und Fenchel auch nicht haben. Dann eben Fleischbrät, das man in Nudelteigtaschen versteckt. Früher vor dem lieben Gott, heute vor den lieben Kindern. „Kinder brauchen Eisen“, quakte ich hilflos.

Penelope sah mich fast mitleidig an. Das klinge ihr doch sehr nach einer Ausredenargumentation. Manchmal ist sie wirklich sehr erwachsen für ihre elf Jahre. Adorno hüpfte indessen um den Tisch und schrie: „Ich esse nie wieder Maultaschen!“ Und dann nur noch: „Scheiße, Scheiße, Scheiße.“ Ein angemessenes Schlusswort.

Der Autor ist taz-Chefreporter

Foto: Anja Weber