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WINTERVERKEHR Ökologisch wertvolle Reifen sind schwer zu finden. Aber es soll sie geben. Versprechen Hersteller. Ab 2012 hilft die EU

Autoreifen müssen in erster Linie sicher sein. Aber sie sollen auch möglichst leise sein, immerhin ist ab Geschwindigkeiten von 50 bis 60 Stundenkilometern der Reifenlärm größer als das Motorengeräusch. Zudem sollen Reifen einen möglichst geringen Rollwiderstand haben, ohne ihre Griffigkeit zu verlieren.

Autofahrer müssen ihre Reifen in erster Linie gut behandeln. Stattdessen fahren sie häufig mit zu geringem Luftdruck und heizen pneuzermörsernd über Bordsteinkanten. Sie überladen ihre Fahrzeuge hemmungslos, rasen sehr lange Strecken oder drehen dank Servolenkung das Lenkrad im Stand.

VON RICHARD ROTHER

Jede Witterungsperiode geht einmal zu Ende – auch der Martinssommer, wie die Meteorologen die derzeitige Phase mit sehr milden Temperaturen im mitteleuropäischen November nennen, die immer wieder auftritt. Spätestens wenn die Luftmassen nicht mehr aus dem Südwesten, sondern aus Norden herangeschaufelt werden, kann es der Jahreszeit entsprechend Schnee, Matsch und Eis geben. Und Autofahrer, die noch mit Sommerreifen unterwegs sind, werden vor die Frage gestellt: Ziehe ich Winter- oder Alljahresreifen auf, oder lasse ich mein Fahrzeug lieber ganz stehen? Und wenn ich mir schon neue Reifen leiste, gibt es sie dann auch in einer ökologischen – also sicheren, verbrauchsmindernden und leisen – Variante?

Formel-1-Gucker wissen: Reifen können hochspezialisierte Produkte sein, die für einen ganz bestimmten Zweck optimiert sind. Mit den einen rasen die Piloten bei Regen, mit anderen bei Trockenheit, bei Hitze oder bei Kälte. Da nicht jeder Autofahrer bei jedem Schauer einen Boxenstopp machen kann, sind die Reifen für den Alltag Kompromisse. Sie müssen Asphalt, Kopfsteinpflaster, Schotter und Sandwege vertragen, und sie müssen bei Regen und Trockenheit greifen und Aquaplaning verhindern.

„Der Sommerreifen ist ein Spezialprodukt für den Sommer, der Winterreifen eines für den Winter“, sagt Maximilian Maurer, Sprecher des Automobilclubs ADAC. „Der Alljahresreifen ist technisch gesehen ein Winterreifen, der etwas in Richtung Sommereigenschaften getrimmt wurde.“ Welche Reifen man aufziehe, hänge nicht nur von der Jahreszeit, sondern auch von der Region ab. „In höheren Lagen und im Mittelgebirge sind Winterreifen unabdingbar.“ Im Flachland seien manche auch mit Ganzjahresreifen gut bedient. Auch verkehrsrechtlich gibt es keinen Zwang, Winterreifen zu nutzen. „Wenn einer mit Sommerreifen auf Schnee einen Unfall verursacht, muss die Haftpflicht trotzdem zahlen“, so Maurer. Problematischer sei das bei der Kaskoversicherung, die für Schäden am Fahrzeug des Unfallverursachers aufkommt. In solchen Fällen müsse aber die Versicherung nachweisen, dass der Unfall auf die Sommerreifen zurückzuführen sei.

Ärger könne es aber auch mit der Polizei geben, so Maurer. Schließlich seien Autofahrer verpflichtet, ihre Ausrüstung den Wetter- und Straßenverhältnissen anzupassen. Wer mit Sommerreifen unterwegs ist, an einem schneebedeckten Hang liegenbleibt und dadurch den Verkehr behindert, müsse mit einem Bußgeld in Höhe von 40 Euro und einem Punkt in der Verkehrssünderkartei in Flensburg rechnen.

„Machen Sie bei Ihrer Sicherheit keine Kompromisse. Wechseln Sie zwischen Sommer- und Winterreifen!“, fordert der Reifenproduzent Continental seine Kunden auf. Schließlich würden Ganzjahresreifen bei Bremstests unterdurchschnittlich abschneiden. Dabei scheinen die Unterschiede gar nicht so riesig zu sein, wie Continental-Zahlen nahelegen. Demnach hat ein Winterreifen-Fahrzeug, das mit einer Geschwindigkeit von 100 Kilometer pro Stunde bei 5 Grad auf nasser Fahrbahn unterwegs ist, einen Bremsweg von 65 Metern. Mit Sommerreifen sind es 69 Meter Bremsweg, mit Ganzjahresreifen 71 Meter. Im Sommer bei 20 Grad und Nässe kommt das Winterreifen-Fahrzeug nach 68 Metern zum Stehen, das Sommerreifenauto nach 66 Metern und das Ganzjahresreifenauto nach 70 Metern. Deutlich sind die Differenzen hingegen auf Schnee, wenn viele aber sehr vorsichtig fahren: Ein 50 Kilometer pro Stunde schnelles Fahrzeug mit Winterreifen kommt hier nach 31 Metern zum Stehen, das Sommerreifenauto schlittert genau doppelt so weit, während das Fahrzeug mit Allwetterreifen nach 42 Metern stoppt.

Schwierig ist die Suche nach sparsamen und leisen Reifen. Zwar bieten die meisten Hersteller – bei Sommerreifen – mittlerweile auch Pneus an, die einen geringen Rollwiderstand haben und damit weniger verbrauchen. Diese sind zwar sicher, haben allerdings eine etwas geringere Griffigkeit und bieten etwas weniger Schutz vor Aquaplaning – was manchen Raser stört. Allerdings gibt es derzeit keine unabhängige Instanz, die die Herstellerangaben überprüft. Und beim Umweltsiegel „Blauer Engel“ sind derzeit keine Reifen registriert.

Eine Besserung ist erst im Jahr 2012 in Sicht. Dann müssen alle neuen Reifen, die in EU-Staaten verkauft werden, nach ihrer Treibstoffeffizienz, Haftung bei Nässe und Lärmerzeugung klassifiziert und gekennzeichnet werden. Das hat in dieser Woche das EU-Parlament beschlossen und damit einen zuvor gefundenen Kompromiss mit dem EU-Ministerrat bestätigt. Allerdings sollen die Reifeninformationen nicht in die Reifen selbst geprägt, sondern nur auf Reifenaufklebern sowie auf der Verkaufsrechnung und auf Werbematerialien publik gemacht werden.

„Da musste dringend etwas passieren“, so Gerd Lottsiepen, Autoexperte beim alternativen Verkehrsclub Deutschland (VCD). Mit spritsparenden Reifen lasse sich der Kohlendioxid-Ausstoß eines Autos um bis zu fünf Prozent reduzieren. Es fehle jedoch an Kontrollmöglichkeiten. Auch bei den Reifen müsse die Industrie abrüsten. „Mit Markenreifen kann man Rennen fahren.“ Das sei meist nicht nötig. „Bei der Bewertung der Reifensicherheit muss man normales Fahrverhalten zu Grunde legen, nicht 260 Kilometer pro Stunde in der Kurve.“

Auch Lars Mönch, Verkehrsexperte im Umweltbundesamt, nennt die bislang fehlende Reifenkennzeichnung ein „wenig erquickliches Thema“. Den Verbrauchern fehlten so Vergleichsmöglichkeiten. Dennoch rät er zu Reifen, die von den Herstellern als verbrauchsarm klassifiziert würden. „Das A und O ist, dass man nicht den breitesten, sondern den schmalsten Reifen nimmt, der für das Fahrzeug zugelassen ist.“ Damit könne man bis zu zwei Prozent Sprit sparen. Zudem könne der Reifendruck retwas höher sein als empfohlen.

Das sieht ADAC-Mann Maurer ähnlich. „Ein Mal im Monat sollte man den Druck überprüfen, bis zu 0,5 bar kann man über die Empfehlungen gehen.“ Das reduziere den Verbrauch etwas. „Am meisten können Autofahrer aber mit dem Fuß sparen – wenn sie ihn vom Gaspedal nehmen.“