Niklaus ist ein böser Mann

SÄCKE „Wart ihr auch brav?“, wird der Nikolaus nächste Woche wieder fragen. Informiert wie ein Stasioffizier kennt er dabei die Antworten doch längst. Geschichte eines Mannes, der vom Heiligen zu einem argen Finsterling abstieg

Der Termin: Am 6. Dezember ist „Nikolaustag“, wenn auch seit 1969 nicht mehr kirchlich offiziell. Die Kinderlein stellen dennoch ihre Stiefel vor die Tür, die heimlich gefüllt werden. Oder der Nikolaus kehrt höchstpersönlich bei ihnen ein.

Der Sack: Der Sack des Nikolaus enthält nicht nur Geschenke – in ihm werden auch jene Kinder abtransportiert, die nicht „brav“ waren. Eine Metapher, die zurückgeht auf die alte Wendung, jemanden „in den Sack zu stecken“.

Die Mütze: Von allen bischöflichen Attributen blieb dem Nikolaus nur die phrygische Mütze mit Knick. Er teilte sie nicht nur mit den Jakobinern in Frankreich, sondern auch mit den Gartenzwergen – und den Schlümpfen.

VON ARNO FRANK

Für einen netten, alten Mann hält den Nikolaus nur, wer sich für den Nikolaus nicht interessiert. Vor allem Erwachsene neigen dazu, im Weihnachtsmann nichts anderes als einen harmlosen Grüßonkel des Einzelhandels zu sehen. Alle Jahre beehrt uns dieser komische Heilige wieder, zwängt sich durch Schornsteine oder hält Audienz im Einkaufszentrum. Aber bereits in seiner routinierten und von väterlich autoritären „Hohohos“ gerahmten Frage, ob wir denn auch alle brav gewesen seien, schimmert das Ambivalente und Affirmative dieser Figur durch.

Der Nikolaus, informiert wie ein Stasioffizier, kennt die Antworten auf seine Fragen längst. Sie stehen, je nachdem, in seinem goldenen oder seinem schwarzen Buch verzeichnet. Geschenke gibt’s, wenn wir uns systemkonform verhalten haben. Wenn nicht, geht’s ab in den Sack und immer mit der Rute drauf. Das ist, aus kindlicher Perspektive, kein unwichtiger Aspekt. Und lässt er die Geschenke nicht von kleinwüchsigen (!) Helferlein rund um die Uhr in seinem Sweatshop am Nordpol herstellen? So gesehen wäre es naiv, sich den Nikolaus nicht als Agenten des Kapitalismus vorzustellen, als einen, der mit seiner über Jahrhunderte gestählten Autorität in den Einzelkampf geht.

Am Schluss war er Böser in B-Movies und Vorbild der idyllsüchtigen Gartenzwerge

Goldklumpen ins Bordell

Denn der Nikolaus ist alt, sehr alt. Als Sohn reicher Eltern soll er entweder als Abt Nikolaus von Sion oder als Bischof von Myra in Kleinasien gewirkt und dort auch erstmals Geschenke verteilt haben. Der Legende nach soll ein verarmter Vater seine drei Töchter ins Bordell geschickt haben, worauf Nikolaus ihnen nachts drei Goldklumpen durchs Fenster warf, um sie vor diesem Schicksal zu bewahren. Dass Geben seliger sei denn Nehmen, ist der theologische Kern dieser Figur, und er bescherte dem Nikolaus eine rasche und glänzende Karriere als Heiligem. Sein Wunderwirken soll ihn schon zu Lebzeiten unter die Engel versetzt haben, die Ostkirche führte ihn gar als Hyperhagios, als Überheiligen. Hier möchte man ihm die Warnung „Flieg nicht so hoch, mein kleiner Freund!“ zurufen, allein: Es war zu spät. Mit der byzantinischen Prinzessin Theophanu heiratete 972 auch der Nikolaus in das ottonische Kaiserhaus ein und wurde deren Hausheiliger – während seine Heimat von muslimischen Eroberern überrannt wurde.

Später rückte er mit einem Vollstrecker an: Knecht Ruprecht, dem Teufel selbst

Die hagiografische Legendenbildung dieses seltsamen Asylbewerbers aber trieb weiterhin die absonderlichsten, wenngleich stets rasch welkenden Blüten. Eine ganz neue Rolle wurde dem Nikolaus in der Gegenreformation zugewiesen, wo er erstmals die Kinder zu Hause besuchte in Begleitung einer mehr als dubiosen Gestalt, die sich mit der Zeit von ihm abgespalten hatte und nun die Rolle des Züchtigers übernahm: Knecht Ruprecht, der „schwarze Mann“, meist an einer Leine geführt, ist der Teufel höchstselbst. Wenn das Böse allerdings als Vollstrecker des Guten auftritt, kann es mit dessen Güte so weit nicht her sein: 1845 zeichnete denn auch Heinrich Hoffmann in seinem „Struwwelpeter“ einen Nikolaus, der auch ganz anders kann, wie der katholische Theologe Manfred Becker-Huberti notiert: „Diese von zeitgemäß bürgerlicher Anpassungs- und Drohpädagogik gespeiste Bildgeschichte greift die Figur auf, füllt sie aber inhaltlich ganz anders: Niklaus, bös und wild, steckt Kinder in ein Tintenfass.“

Anders als dem katholischen Nikolaus glückte dem reformierten „Sinte Klaas“ über die Niederlande die Flucht nach Amerika. Hier erst mutierte er, unter anderem im Auftrag von Coca-Cola, zu dem gutmütigen Dickerchen unserer Zeit – tätig nunmehr als offizieller Geschenkelieferant an Weihnachten. Als Bischof ohnehin nur noch an seiner phrygischen Mütze zu erkennen, strich Papst Paul VI. 1969 den 6. Dezember als verbindlichen und gebotenen Feiertag aus dem römischen Generalkalender. Tiefer konnte der Nikolaus eigentlich nicht mehr fallen – und diente dann nur noch als Vorlage für den Gartenzwerg, das Sinnbild spießbürgerlicher Idyllsucht. Wäre er ein Politiker, müsste man ihn „beschädigt“ nennen. Wie ja nicht nur der Teufel beschädigt ist, sondern fast alle interessanten Dunkelmänner der jüngeren Populärkultur, vom Joker aus „Batman“ über Hannibal Lecter bis zu Darth Vader.

Sein Wunderwirken soll ihn schon zu Lebzeiten zum Engel gemacht haben

Tatsächlich besetzt der Nikolaus in der Unterhaltungskultur entweder gleich die Rolle des Bösen – oder muss hinnehmen, dass sich das Böse hinter seiner freundlichen Fassade verbergen kann. Sowohl der Grinch des Dr. Seuss als auch Jack Skellington aus Tim Burtons „Nightmare Before Christmas“ verkleiden sich als Weihnachtsmann, um „das Fest zu stehlen“. In einem „Calvin & Hobbes“-Cartoon fragt sich selbst Calvin: „Santa Claus: Freundlicher alter Elf oder Schreckgespenst der CIA?“ In zahllosen B-Movies ist der Nikolaus ein pädophiler Sittenstrolch oder ein ordinärer Krimineller. Im Song „Don’t Shoot Me, Santa“ von The Killers tritt der Alte als in der Wüste lebender Serienkiller auf. Was alle popkulturellen Adaptionen gemein haben, ist das berechtigte Misstrauen, mit dem sie diesem dauergrinsenden Säulenheiligen des Spätkapitalismus begegnen. Wohin die Entwicklung noch gehen wird? Keiner weiß es. Außer vielleicht die Macher der Serie „Futurama“, angesiedelt im Jahr 3.000, wenn die Kinder singen werden:

„He knows when you are sleeping, / He knows when you’re on the can, / He’ll hunt you down and blast your ass from here to Pakistan / You better not breathe, You better not move, / You’re better off dead I’m telling you dude! / Santa Claus is gunning you down!“