„Die Attacke von Mailand stärkt das Heilige“

SIMULACRUM Silvio Berlusconis Erfolg liegt darin begründet, dass er den eigenen Körper konkret und über religiöse Symbole thematisiert, meint Giuliana Parotto in ihrem Buch über den italienischen Premier

■ lehrt politische Philosophie an der Universität Triest, arbeitet für das italienische Radio 3 Rai und lebt in München-Schwabing.

taz: Frau Parotto, in Ihrem Buch beschäftigen Sie sich mit der „symbolischen und bildhaften Dimension“ Silvio Berlusconis. Ist diese Dimension unabhängig von Kategorien wie links und rechts?

In der politischen Propaganda Berlusconis wurde die Polarisierung zwischen links und rechts abgelöst durch die Gegenüberstellung von alt und neu. Links ist demzufolge das Alte, weil die „Kommunisten“, mit denen Berlusconi jede Art von Opposition gleichsetzt, für Bürokratie und Staatsideologie stehen. Das Neue ist nun paradoxerweise die Rechte.

Inwieweit muss der neue Körper des Politikers ein männlicher Körper sein?

Der neue Körper des Politikers ist, im Gegensatz zum traditionellen Modell vom virilen Körper in der faschistischen Propaganda, kein rein männlicher Körper, obwohl er auch männlich ist. Er ist gleichwohl ein softer Körper, der Schwächen und traditionell als weiblich geltende Haltungen zeigt. Was sich uns anbietet, ist eine „Körperhülle“, ein Gefäß, in das jeder hineinprojizieren kann, was er will, unabhängig vom Geschlecht.

Die Heilsfigur der „Guten“ ist derzeit noch US-Präsident Barack Obama. Ist er authentisch, ist er Symbol, wo Berlusconi nur Simulacrum ist? Ist Obama als Typus die Alternative?

Die Fiktion der Repräsentanz hängt mit dem unsichtbaren politischen Körper zusammen, der sichtbar gemacht werden soll. Wir sind Teil einer Kommunikationsgesellschaft, die sich in Bildern mitteilt. Wichtig ist nur, was das Image stärkt oder schwächt. So verstanden ist das Bild ein Simulacrum, das mit der Realität nichts mehr zu tun hat. Was man sagt, zählt nicht, Hauptsache, man sagt etwas. Diese Art von Kommunikation gerät mehr und mehr zum Hintergrundgeräusch, das sich in der absoluten und totalen Gleichgültigkeit und Gewöhnung verliert. Barack Obama ist da keine Ausnahme.

Ist ein Berlusconi nur in katholischen Ländern möglich?

Das Bild war in der katholischen Gegenreformation ein starkes Vehikel der Propaganda. In der protestantischen Tradition ist es nur marginal.

Stärkt oder schwächt die jüngste Attacke auf Berlusconi seine eigene Inszenierung?

Das Attentat von Mailand stärkt das Heilige. Denn das Heilige und die Gewalt gehören zusammen, erst recht im Fall Berlusconi: Er ist der Retter schlechthin, und der Retter ist immer auch das Opfer. Es zeichnet sich ab, dass die Attacke nun als zusätzliches Argument gegen die Opposition, die Verfassung und die Freiheit eingesetzt wird. Die Zeitung Il Giornale titelte: „Verfassungsgewalt“. Die Attacke soll nun eine dringende Reform der Verfassung rechtfertigen, welche die Macht des Premier stärken soll. Sie wird auch dazu benutzt, mehr Kontrolle über Presse und Fernsehsendungen zu begründen, die angeblich den Hass gegen Berlusconi schüren. So kann er dann vorige Woche ausrufen, dass am Ende doch die Liebe über den Hass siegen wird. Dieser Ausspruch ist ein schöner Beleg für seinen Rückgriff auf religiöse Symbole. INTERVIEW: AMBROS WAIBEL

Giuliana Parotto: „Silvio Berlusconi. Der doppelte Körper des Politikers: Politik, Religion, Television“. Wilhelm Fink, Paderborn 2009, 152 S., 18,90 Euro