Ü-30-Gespräche am Telefon
: Müttersorgen

„Bist du eigentlich auch auf diesem Online Partner, äh, Ship?“

Es ist schon eine Weile her, dass mein Bruder ein Kind bekommen hat. Für meine Mutter aber ist das eine nicht enden wollende Neuigkeit. Sie erzählt es mir immer wieder. Kleidet die Berichte über den Neffen in Anekdoten, Szenen, Geschichten aus zweiter Hand. Ich höre mit halbem Ohr hin. „Hm“, sage ich manchmal. Oder: „Ach, witzig.“ Nach jedem Satz macht die Mutter eine Kunstpause und gibt mir Zeit, einen etwaigen Kinderwunsch zu entdecken. Tief in mir drin.

Das Telefon klingelt. Schon wieder. Die Einschläge kommen näher, es droht eines dieser Ü-30-Gespräche, wie sie meine Mutter seit Neuestem versucht mit mir zu führen. Sie verlaufen recht einseitig. Und immer gleich. Über Umwege pirscht sich die Mutter an ein delikates Thema heran. Laut knackend bricht sie durch das Gebüsch der Nebensächlichkeiten. Sie weiß es nicht, aber man hört die in Zufall gekleidete Absicht schon aus der ersten Silbe heraus. Schließlich kommt sie zur Sache. Die Mutter spricht also ins Telefon, zum Beispiel das: „Du solltest dir einen Physiotherapeuten anlachen.“ – Ich: „Ääh?“ Dann mache ich eine Pause und hoffe, dass es der Mutter langweilig wird. Sie aber schweigt die Stille beharrlich aus. „Ich lache meinen Physiotherapeuten immer an“, sage ich schließlich. Und schiebe hinterher: „Immer.“ Jetzt schweigt meine Mutter. Es ist ein strafendes Schweigen. Dann stöhnt sie laut auf. „Siehst du“, sagt sie. „Darum wird das nix.“ – Hihihi, denke ich. Heimlich bin ich dann doch ein bisschen traurig. Aber nur bis zum nächsten Telefongespräch.

Denn obwohl meine Mutter schon alle Hemmungen verloren hat, druckst sie doch immer noch herum. „Bist du eigentlich auch auf diesem, äh, Internet, also, online, Partner, äh, Ship? Oder so?“, sagt sie. „Deine Cousine F. hat ihren Freund da gefunden.“ Die Pause ist rhetorisch. „Und die ist noch größer als du.“

SONJA VOGEL