„Kein Akt des Widerstands“

VORTRAG Frauke Wetzel erklärt, wieso Versuche, Geschichte ans System anzupassen, scheitern

■ 35, Kulturwissenschaftlerin, 2008-2010 am Collegium Bohemicum in Ústi nad Labem, seither am europäischen Zentrum der Künste Hellerau in Dresden

taz: Frau Wetzel, verändern Systemwechsel das historische Gedächtnis automatisch?

Frauke Wetzel: Eigentlich nicht. Gerade im geografisch-kleinen Ausschnitt einer Stadt, wie ich ihn am Beispiel von Ústi nad Labem, ehemals Aussig an der Elbe, beobachtet habe, zeigt sich, dass Erinnerung weitgehend unbeeinflusst bleibt von der gesamtstaatliche Konstruktion: Es gibt Kontinuitäten, sei es durch die Leute oder Gegenstände, die einfach da bleiben.

Trotz des Versuchs, durch Umsiedlungen diese Kontinuitäten planmäßig zu löschen?

Ja. Eine solche verordnete Verdrängung funktioniert nicht. Das ist zumindest das, was ich an meinem Beispiel habe beobachten können. Die Erinnerungen konservieren sich in alten Straßennamen, oder indem Fabriken und Betriebe weiter nach den Gründern benannt werden, selbst, wenn diese Bezeichnungen offiziell durch neue ersetzt wurden und man die Belegschaft ausgetauscht hat. Und das ist kein Akt des Widerstands.

Sondern?

Nach meiner Ansicht sind das natürliche Prozesse. Es tut Not, in einer Geschichte wurzeln zu können, sich mit dem Ort, in dem man lebt auseinandersetzen zu können.

Aber wird das nicht erst durch den Systemwechsel von 1989 akut – um den oktroyierten sowjetisch-russischen Einfluss zurückzudrängen?

Ich denke, dass es eher eine Frage der Generationsbrüche ist: Es gab schon Anfang der 1980er eine starke Welle der Beschäftigung mit der regionalen Geschichte vor 1945. Und umgekehrt gab es zwar auch in Tschechien die Demontage sozialistischer Symbole, aber viel gemäßigter als in anderen Staaten Osteuropas: Man war hier stark aufs Neue fokussiert.  Interview: bes

19 Uhr, Uni, Osteuropa Gebäude, Raum 3790