Der Kannibale beißt wieder

BIATHLON Der 39-jährige mehrfache norwegische Olympiasieger Ole Einar Björndalen demonstriert beim Weltcup in Oberhof eindrucksvoll, dass sein berüchtigter Erfolgshunger längst noch nicht gestillt ist

OBERHOF taz | Bei Ole Einar Björndalen ist alles ein bisschen anders, meteorologische Vorlieben inklusive. „Ich mag dieses Wetter hier. Ich mag den Regen und mag den Nebel“, schwärmt der drahtige Skandinavier, dessen spezieller Geschmack in Oberhof auch in diesem Jahr wieder gut bedient wurde. Ganz besonders zum Auftakt am Freitag. Doch auch beim Abschied vom Grenzadler wurden die Massenstarter mit Ski und Gewehr von oben zunächst ausgiebig begossen, am Ende des Rennens war es dann allerdings trocken.

Womöglich zu trocken für den Altmeister der Skijäger, der nach zwei bemerkenswerten zweiten Plätzen in Sprint und Verfolgung beim sportlichen Abwasch im Thüringer Wald mit Rang 21 sein schwächstes Resultat hinlegte. Doch hätte er nicht als einziger im Feld gleich 6 seiner 20 Patronen neben die schwarzen Scheiben gesetzt, wäre er auch am Sonntag wieder ganz weit vorne gelandet. Denn läuferisch hält der sechsmalige Olympiasieger, der in drei Wochen 40 wird, mit den Besten der Welt problemlos mit. Wieder.

„Ich hatte zwei, drei schwere Winter“, sagt Björndalen im Rückblick auf die ärgerliche Geschichte mit dem Holzklotz, an dem er sich verhob und anschließend Probleme mit seinen Bandscheiben hatte – dazu kam das Scheitern seiner Ehe mit der früheren Biathletin Nathalie Santer. „Aber dieses Jahr“, führt er den Gedanken fort, „genieße ich. Denn ich kann wieder angreifen.“ Wegen seiner unstillbaren Gier nach Siegen wurde er in der Branche einst mit dem Ehrentitel „der Kannibale“ bedacht. Jetzt beißt er wieder. Und allen, die vielleicht Zweifel hegen, ob er auch bei seiner sechsten Olympiateilnahme noch zuschlagen kann, versichert der aktuell Vierte des Gesamtweltcups: „Ich fühle mich nicht alt.“ Daran ändern auch die unübersehbaren Augenfalten nichts, die sich in Björndalens Gesicht geschlichen haben. Um in der Trainingsphase keine Zeit zu verlieren, hat er sich mittlerweile zwei Wohnmobile zugelegt. Das eine steht in Norwegen, das andere in seinem Alpenwohnsitz Obertilliach – und je nachdem, wo er gerade trainiert, kommen die Vehikel abwechselnd zum Einsatz.

„Für mich zählt nur der erste Platz, alles andere ist keine Platzierung. Das ist einfach so im Sport“, erneuerte Björndalen gerade sein unumstößliches Mantra. In Oberhof siegte er zuletzt vor vier Jahren. Beinahe hätte der Vierfacholympiasieger von Salt Lake City an diesen Erfolg angeknüpft. Im Sprint fehlte ihm der Hauch von 0,4 Sekunden auf Landsmann Emil Hegle Svendsen, in der Verfolgung gab Björndalen den Sieg mit zwei Fehlern bei der letzten Schießeinlage selbst aus der Hand.

Erneut triumphierte der elf Jahre jüngere Svendsen – doch der Perfektionist aus dem eigenen Team ist ihm in diesem Winter wieder schwer auf die Pelle gerückt. Auch Massenstartsieger Martin Fourcade, das Nonplusultra der Skijägerzunft, muss den 19-maligen Weltmeister beim Saisonhöhepunkt in Sotschi wieder fürchten. Zum letzten Mal. Björndalen sagt: „Das werden meine letzten Olympischen Spiele. „Ich vermute, es ist auch meine letzte Saison im Biathlon.“ Das könnte auch für Andreas Birnbacher gelten, der als Vierter des Massenstarts die Olympianorm erfüllte. Als bislang Letzter von elf Skijägern und Skijägerinnen des DSV.

In puncto Angriffslust kann es allerdings keiner aus dem deutschen Lager mit Ole Einar Björndalen aufnehmen. Auch nicht Andrea Henkel, die im März ihre Karriere beendet und sich beim Massenstart-Sieg der Norwegerin Tora Berger als gute Vierte winkend von ihrem Heimpublikum verabschiedete. Auch Björndalen nahm freundlich Abschied. Er erklärte: „Oberhof ist einer meiner Favoriten. Und vielleicht ist es sogar der beste aller Weltcuporte.“ Regen und Nebel sei Dank. ANDREAS MORBACH