Präsident gibt Tipps für Sozis

WAHLHILFE Bundespräsident Joachim Gauck reflektiert öffentlich über rot-rot-grüne Regierungspläne in Thüringen. Darf der das eigentlich? Und, ähm: Ist das auch christlich?

„Als bekennender Christ bin ich irritiert“

BODO RAMELOW, MÖGLICHER MINISTERPRÄSIDENT THÜRINGENS, ZU DEN ÄUSSERUNGEN DES FRÜHEREN PASTORS GAUCK

VON MARTIN KAUL

BERLIN taz | Eigentlich hat er ja nur eine Frage gestellt, aber gut, ein bisschen Antwort war schon auch dabei: Der Bundespräsident und frühere DDR-Oppositionelle Joachim Gauck hat mit Äußerungen zu einer möglichen rot-rot-grünen Koalition in Thüringen für Irritationen gesorgt. In einem Interview mit der ARD sagte Gauck am Wochenende, dass die Wahlentscheidung in Thüringen zwar zu akzeptieren sei, doch es bleibe die Frage: „Ist die Partei, die da den Ministerpräsidenten stellen will, tatsächlich schon so weit weg von den Vorstellungen, die die SED einst hatte bei der Unterdrückung der Menschen hier, dass wir ihr voll vertrauen können?“ Seine Antwort darauf gab Gauck auch: „Es gibt Teile in dieser Partei, wo ich wie viele andere auch Probleme habe, dieses Vertrauen zu entwickeln.“ Menschen, die die DDR erlebt hätten und in seinem Alter seien, müssten sich „schon ganz schön anstrengen, um dies zu akzeptieren“, sagte er in dem Interview. Rückmeldung aus Reihen von Linkspartei, SPD und Grünen gab es prompt.

SPD-Vize Ralf Stegner wertete Gaucks Äußerungen als mögliche Einmischung in innerparteiliche Angelegenheiten der SPD. Deren Mitglieder werden in Thüringen derzeit danach befragt, ob sie einer Koalition unter Führung des linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow zustimmen. Der taz sagte Stegner, es sei zwar eine von Gaucks Stärken, dass er sich auch zu umstrittenen Themen äußere. „Allerdings bekleidet er ein Amt, dessen Ansehen vollständig auf parteipolitischer Unabhängigkeit beruht. Gaucks Äußerungen könnten als Einflussnahme auf die laufende Mitgliederbefragung der Thüringer SPD interpretiert werden. Eine solche parteipolitische Intervention des Bundespräsidenten wäre sicher nicht sinnvoll.“

Die Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, stärkte Gauck den Rücken, verteidigte aber auch die Regierungspläne in Thüringen: „Ich bin froh, dass wir einen Bundespräsidenten haben, der seine Meinung sagt“, sagte sie der taz. „Wir stehen in der Verantwortung, 25 Jahre nach der friedlichen Revolution endlich eine echte Erinnerungskultur zu schaffen und für einen Ausgleich mit SED-Opfern zu sorgen. Dass dies jetzt gemeinsam mit der Linken geschehen kann, sehe ich jedenfalls als Chance.“

Linken-Politiker Bodo Ramelow, der gute Chancen hat, bald Deutschlands erster Ministerpräsident aus Reihen der Linkspartei zu werden, konterte eher moralisch als politisch: „Als bekennenden Christen irritiert mich, dass der studierte Pastor und evangelische Seelsorger vor einem Altar und brennenden Kerzen offensichtlich mich als Mitchristen ignoriert oder gar negiert“, feuerte er. Das Videointerview mit Gauck war in einer Kirche aufgezeichnet worden.

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