„Aufgeben gibt’s nicht!“

GEBURTSTAG Der Schauspieler Rolf Becker, der gerade 80 Jahre alt geworden ist, über Geburtstagsfeiern, politisches Engagement, bürgerliches Theater und St. Georg als wirkliches Zuhause – trotz schmerzender Veränderungen

■ 80, steht seit 1957 auf der Bühne und ist politisch engagiert: Seine Lesungen des Kommunistischen Manifests ziehen Hunderte an.

INTERVIEW FRANK KEIL

taz: Herr Becker, wie wird am Samstagabend im Schauspielhaus Ihr Geburtstag gefeiert?

Rolf Becker: Ich weiß das Datum. Und ich habe erfahren, dass im Stadtteil und im Freundeskreis etwas vorbereitet ist und darüber freue ich mich sehr. Und ich habe abgeklärt, dass es nicht nur um meine Person geht, das mag ich nicht – sondern dass ein politisches Thema den Akzent setzt: Das wird Griechenland sein. Dank eines kurzen Referats von Karl-Heinz Roth. Mehr weiß ich nicht.

Griechenland – da gibt es persönliche Verbindung …

Wir fahren seit vielen Jahren mit der Familie nach Kreta. Wir lieben die Insel. Aber auf Kreta sind auch die Spuren der Besetzung durch die deutsche Wehrmacht unübersehbar, viele Ortschaften sind ja damals ausgelöscht worden. Als wir vor 25 Jahren in Anogia waren, saßen dort in den Kafenions meist alte Frauen – weil in der ganzen Region kein männliches Wesen, ob als Säugling, Greis oder als Mann mittleren Alters überlebt hatte. Entsprechend entstand bei mir ein besonderes Verhältnis zur deutsch-griechischen Geschichte.

Sie engagieren sich sehr für Regionen, wo Sie wirklich waren. Ich denke an Nicaragua, das Sie mehrfach bereist haben; auch an die Protestreise während der Nato-Angriffe gegen Serbien …

Ich würde es umgekehrt formulieren: Bevor ich mich zu einem Thema äußere, versuche ich mich vor Ort zu informieren. Selbst die sorgfältigste Berichterstattung kann nicht ersetzen, was man durch eigenes Erleben mitbekommt.

Sie wollten Ende April 1975 nach Vietnam – als dort der Krieg endete. Wie kam’s?

Ich war auf dem Weg zu politischen Freunden nach Australien und habe den Umweg über Bangkok genommen. Wie zugespitzt die Lage war, wurde mir klar, als in meinem Hotelzimmer ein amerikanischer Offizier mit seiner Familie einquartiert wurde. Nach Saigon, heute Ho-Chi-Minh-Stadt, fliegen ging nicht mehr. Aber ich trug Khaki und sah aus wie ein Amerikaner, so gelang es mir nach Nakhom Panom zu fliegen, die damals größte Militärbasis der USA in der Region. Ich habe so ein Waffenarsenal nie wieder gesehen – hunderte Meter lang Raketen und Bomben in Holzgestellen. Und obwohl der Krieg offiziell vorbei war, starteten die Bomber noch. Ein Erlebnis, das mich damals sehr aufgewühlt hat.

Woher kam der Mut, da einfach reinzufahren?

Es war eine Zeit, da brauchte ich auf keine Familie Rücksicht zu nehmen. Die erste Ehe war kaputt und meine zweite war noch nicht zustandegekommen. Dabei habe nie die Gefahr gesucht – man gerät da rein.

Sie waren in München an der Schauspielschule, kamen über viele Stationen Anfang der 1960er nach Bremen ans Theater. Und wurden dort 1969 fristlos entlassen.

Genau genommen war es keine fristlose Kündigung, sondern eine vorzeitige Trennung im gegenseitigen Einvernehmen zwischen mir und Kurt Hübner, dem damaligen Intendanten. Anlass war die Aufführung der „Frauenvolksversammlung“ von Aristophanes. Ich hatte am ersten Probentag die Regie dem Ensemble übergeben. Das führte auch unter uns zu heftigen Auseinandersetzungen, es sind auch Leute ausgestiegen, man musste sich ja nun auf eine Konzeption einigen. Kurzum: Es wurde keine Aufführung, deren Qualität heute noch verteidigt werden müsste.

Aber sie hat trotzdem einen Stellenwert in der Theatergeschichte …

Unsere Schlusssätze damals mit Hinweis auf die 300 Exemplare des Textes, die auf der Bühne lagen: „Den Rest des Stückes können Sie nachlesen. Trennen Sie sich von dieser GmbH. Geben Sie das Theater auf!“ Gemeint: das bürgerliche Theater. Ergebnis: Totale Konfusion. Wer Humor hatte, stürzte sich auf den Kiosk, den wir auf der Bühne hatten – und versorgte sich mit Würstchen und Getränken. Ivan Nagel vom Hamburger Schauspielhaus fand das grandios und rettete später meine Schauspielerexistenz.

Wie das?

Ich war danach gesperrt – an allen deutschsprachigen Theatern! Es gab ein entsprechendes Rundschreiben des Bühnen- und Regieverbandes. Aber ich hatte Glück mit Rollen beim Fernsehen, und dann war da eben Nagel, der mich 1971 ans Schauspielhaus nach Hamburg holte, und schlicht erklärte: „Solche Aktionen sind auch Theater.“ Es war eine lehrreiche Zeit für mich, mit einer bis heute entscheidenden Konsequenz: Ich habe mich nie wieder an einer Leitungsfunktion beteiligt. Ich wusste nun – ich gehöre nach unten. Ich bin Schauspieler seitdem, abhängig beschäftigt und weisungsgebunden – und damit Schluss.

Sie kamen ans Schauspielhaus und Sie kamen nach St.Georg …

… wo ich seit über 40 Jahren wohne. Der Stadtteil ist ein wirkliches Zuhause geworden.

Wobei die Veränderungen im Stadtteil enorm sind …

Und die schmerzen, das ist wahr. Aber sie sind zugleich ein Grund zu bleiben, Aufgeben gibt’s nicht! Es kann eine Niederlage werden, aber vorher heißt es Widerstand leisten. Es gibt eine schöne Zeile von Francois Villon: „Dass mich kein Hund aus dieser schönen Stadt rauskriegt“. Er meinte natürlich Paris – ich meine St. Georg.

■ Öffentliche Geburtstagsfeier für Rolf Becker: Sa, 18. 4., 11 Uhr, Schauspielhaus, Kirchenallee 11