OSTEREINKAUF IM JUVENILEN KIWI-SUPERMARKT
: Die entgangenen Freuden der Rabattkarte

Foto: privat

REBECCA CLARE SANGER

Für unsere Kiwi Kids“, steht auf dem grünen Behälter an der hinten-rechten Ecke der Kasse, wobei Kiwi der Name des Supermarkts ist und die Kids die Kinder der Kunden. Die wahrscheinlich lieber einen Lolli gewollt hätten als einen morschen Apfel. Genauso gut hätte mit den Kids aber auch das Kiwipersonal gemeint sein können, noch kein einziges Mal scheint ein Supermarktangestellter, der mir dort über den Weg gelaufen ist, älter als sechzehn Jahre alt gewesen zu sein. In grünen Klamotten stehen sie vor Regalen, bis jemand vor der Kasse steht, dann setzen sie sich dort hin.

An meinem Autoschlüssel hängt eine Kiwiaktionsschlüsselanhänger-Chipkarte: Zehn Prozent Rabatt auf alle Biowaren. Und vielleicht liegt es an der Landluft, oder aber an meinem Gehirn: aber ich stimme meine Einkäufe auf die Supermärkte ab, benutze Hirnplatz für die verschiedenen Milchpreise, gebrauche Lebenszeit, um mich für den Supermarkt zu entscheiden, in welchem ich heute einzukaufen gedenke. Mein Korb ist voller Biowaren, deshalb bin ich ja auch hier, triumphierend baumelt die Chipkarte am Autoschlüssel.

An der Kasse werde ich von Lakritzmarzipaneiern abgelenkt. Es ist Ostern. Und wir sind in Dänemark. Die gefühlt vierzehnjährige Kassendame guckt mir dabei zu, wie ich eine Entscheidung für die Lakritzostereitüte fälle, 15 Kronen, aber es ist ja auch Ostern, und wir haben noch keine Schokolade gehabt, dabei ist es schon Montag. Die Ostereiertüte wandert unter den Laser der Vierzehnjährigen.

„Habt ihr auch Stahlfaden?“, frage ich, denn den brauchen wir für unseren Gartenzaun; sie fragt den Manager, der zufällig vorbeigeht. Ich wundere mich über die dänische Aussprache von „ståltråd“ (Stoaltroall) und – wie zu erwarten – über des Managers Alter, und höre schon wie die Kassendame eine Summe sagt, da fällts mir ein: Meine Chipkarte!

„Ich habe da noch…“, mir fällt das dänische Wort nicht ein.

Aber sie weiß, was ich will.

„Nee, das ist zu spät, das ist ja schon in der Kasse drin. Das nächste Mal!“

Ich kann es kaum glauben. Der Laden ist leer! Natürlich könnte sie den Bon stornieren und die Waren erneut mit zehn Prozent Rabatt durchziehen. Gedanken brodeln ärgerlich, während ich meine Einkäufe einpacke. Selbstsicherer als ich ist das 14-jährige Pummelchen auf der anderen Seite des Warenbands. Nicht nur das Lakritzmarzipan ist plötzlich typisch dänisch, unter anderem weil ich plötzlich typisch deutsch bin. Ich will meine zehn Prozent auf die Biowaren. Ich kaufe (fast) keine Süßigkeiten, so sehr spare ich Geld. Ich bin der Kunde, warum hat sie keine Angst vor meinem Kundenmundwerk? Ich bin hier die Alte, warum hat sie keine Angst vor meinem Alter? Sie fällt fast vom Kassenstuhl, so entspannt ist sie.

„Beim nächsten Mal erinnere ich dich an deine Chipkarte!“ sagt sie freundlich und zieht kaugummikauend den Schlüssel aus der Kasse.

„Welches nächste Mal“, denke ich, „die zehn Prozent sind doch der einzige Grund, weshalb ich überhaupt hier einkaufe.“

Der kiwigrüne Chipkartenautoschlüsselanhänger lacht ein hämisches Lachen.

„Beim nächsten Mal erinnere ich dich dran“, sagt sie noch mal, falls ich es nicht verstanden habe, und erhebt sich langsam von ihrem Kassenstuhl, und macht die Kassentür hinter sich zu, und geht irgendwo hin, wahrscheinlich, um vor irgendeinem Regal zu stehen. Oder um im Mitarbeiterraum eine Zigarette zu rauchen oder einen mulschigen Apfel zu essen.

Rebecca Clare Sanger pendelt mit Mann und Kindern zwischen Hamburg und der dänischen Insel Møn; von ihr erschien bei Michason & May „Hamburg Walking“, ein Sammelband mit Hamburger Szenen aus der taz