„Das hat mich schockiert“

VORTRAG Susanne Schunter-Kleemann thematisiert die NS-Geschichte ihres Großvaters

■ 72, war Professorin für Sozial- und Politikwissenschaft an der Hochschule Bremen.

taz: Frau Schunter-Kleemann, Sie sprechen heute über den „schmalen Grat zwischen beruflichen Leistungen, technischen Verdiensten, Teilnahme an NS-Verbrechen und Totalverdrängung in der Familie“ – Ihrer eigenen. Was wurde da verdrängt?

Susanne Schunter-Kleemann: Die Geschichte meines Großvaters Wilhelm Süchting, der leitender Schiffbau-Direktor bei Blohm & Voss war. Nach dem Tod meiner Mutter sah ich einen Zeitungsausschnitt, den ich nicht hätte sehen sollen: Er zeigt meinen Großvater zusammen mit Hitler beim Stapellauf der von ihm konstruierten „Wilhelm Gustloff“.

Wer wollte Sie das nicht sehen lassen?

Meine Mutter, und das hat mich sehr schockiert. Der hatte ich schon in den 60er-Jahren Löcher in den Bauch gefragt – und damals den Eindruck gehabt, ehrliche Antworten zu bekommen. Doch jetzt musste ich feststellen, dass nicht nur mein Großvater, sondern auch mehrere Großonkel an führenden Wirtschafts-Stellen in NS-Verbrechen verstrickt waren. Mein Vater wiederum hat immer geleugnet, Parteimitglied gewesen zu sein.

Blohm & Voss hatte ein Außenlager des KZ Neuengamme auf dem Werftgelände. Hat Ihr Großvater die Zwangsarbeiter selbst ausgewählt?

Nein. Aber als Schiffsbau-Direktor war er mit Sicherheit sehr genau über die Zustände unterrichtet. Ich habe zum Beispiel folgende Aussage eines Werftarbeiters gefunden: „Die Gelegenheit hatten, sich aufzuhängen, haben es gemacht, denn die Zustände waren unerträglich.“

Wie reagiert Ihre Familie jetzt auf Ihre Recherchen und Veröffentlichungen?

Es gibt niemanden, der sagt: Das darfst Du nicht. Wichtiges Material habe ich aber eher aus dem Internet oder von entfernteren Verwandten bekommen, nicht von denjenigen, die noch direkten Kontakt zu meinem Großvater hatten. Wie sind Ihre eigenen Erinnerungen an diesen Großvater?

Ich habe ihn nur ein einziges Mal getroffen, als Sechsjährige. Diese emotionale Distanz hat es mir sicher erleichtert, in die Recherche einzusteigen. INTERVIEW: HENNING BLEYL

„Vom Bremer Ruderer zum NS-Wehrwirtschaftsführer“: 19 Uhr, Haus der Wissenschaft