Schüsse ohne Anlass

JUSTIZ Ein US-Gericht verurteilt vier Männer, die im Irak 14 Zivilisten töteten – und dafür bislang weder von der irakischen Justiz noch vom US-Militär belangt werden konnten

Die Toten vom Nissur- platz waren ein Wendepunkt in der Debatte über private Sicherheitsfirmen

VON BERND PICKERT

BERLIN taz | Einmal lebenslänglich und dreimal 30 Jahre Haft – das ist das Strafmaß für vier ehemalige Mitarbeiter der früheren US-Söldnerfirma Blackwater. Bereits im Oktober vergangenen Jahres waren sie von einem Geschworenengericht in der US-Hauptstadt Washington wegen Mordes und Totschlags schuldig gesprochen worden. Das Gericht hielt es für erwiesen, dass sie am 16. September 2007 auf dem belebten Nissurplatz in Iraks Hauptstadt Bagdad ohne ersichtlichen Grund mindestens 14 irakische ZivilistInnen getötet und über 20 weitere verletzt hatten.

Mit dem Strafmaß, das nun verkündet wurde, bleibt das Gericht unter den Forderungen der Staatsanwaltschaft. Aber der Schuldspruch für die Anklage, Verbrechen unter Einsatz automatischer Waffen begangen zu haben, bedeutet nach einem US-Strafrechtsparagrafen, der zu Zeiten der Crack-bezogenen Ganggewalt eingeführt worden war, eine Mindeststrafe von 30 Jahren – weniger konnten die drei nicht bekommen. Lediglich der Scharfschütze Nicholas Slatten, 31, wurde wegen Mordes zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Er soll mit einem gezielten Schuss auf die Fahrerin eines weißen Kia die Ereignisse auf dem Nissurplatz überhaupt erst losgetreten haben.

Der genaue Hergang war in den rund sieben Jahren Prozessdauer immer wieder umstritten. Blackwater und das US-Verteidigungsministerium hatten zunächst verbreitet, ihr Konvoi aus vier gepanzerten Fahrzeugen sei in einen Hinterhalt geraten und beschossen worden.

Doch sowohl die rund zwei Dutzend nach Washington eingeflogenen irakischen Zeugen als auch einige Blackwater-Mitarbeiter – darunter der ursprünglich fünfte Angeklagte, der nach einem Schuldeingeständnis eine Kronzeugenregelung in Anspruch nahm – wussten anderes zu berichten. Es habe in dem stark befahrenen Kreisverkehr einen Verkehrsstau gegeben, und die Blackwater-Leute hätten ohne Anlass das Feuer eröffnet. Feindlichen Beschuss gab es nicht.

Bis zuletzt betonten die vier Angeklagten ihre Unschuld. Auf dem Platz sei zwar vieles schiefgelaufen, es sei eine „Tragödie“. Aber in der konkreten Bedrohungslage hätten sie nicht anders handeln können, erklärten ihre Anwälte während des Verfahrens immer wieder. Im Übrigen seien alle vier unbescholtene Patrioten, die ihre Familien sehr liebten. Letzterem widersprach Richter Royce C. Lamberth nicht, sagte jedoch seinerseits, ein derartiges Verbrechen könne unmöglich ungesühnt bleiben.

Die Toten vom Nissurplatz waren ein Wendepunkt in der Debatte über die Rolle privater Sicherheitsunternehmen – aber auch für Blackwater und ihren Gründer und Chef, Erik Prince. Prince, ehemaliger Navy Seal und eifriger Wahlkampfspender der Republikaner, hatte sich mit dem Irak-Einsatz einen Milliardenauftrag gesichert. Unter anderem waren die 1.000 bis 1.500 Blackwater-Leute für den Schutz der US-Diplomaten im Irak abgestellt. Doch schon zum Zeitpunkt des Zwischenfalls vom Nissurplatz hatte sich Blackwater den Ruf einer schießwütigen Truppe erworben, die in den Augen vieler Iraker absolute Narrenfreiheit genoss, dafür aber weder vom US-Militär – sie waren ja keine Militärs – noch von der irakischen Justiz belangt werden konnte. Dafür sorgte ein 2004 von der Besatzungsmacht erlassenes Dekret, das allen Söldnern („Private Contractors“) Immunität vor irakischer Strafverfolgung zusicherte.

Doch mit den 14 Toten vom Nissurplatz war für Iraks Regierung das Maß voll – nur zwei Tage später verkündete Ministerpräsident Nuri al-Maliki, Blackwater müsse das Land verlassen. Die Bush-Regierung wollte davon nichts wissen und verlängerte den Vertrag sogar 2008 noch.

Blackwater blieb also, doch der Ruf hatte Schaden genommen – auch weil andere Söldnerfirmen streuen ließen, Blackwater handele extrem unprofessionell und sei für die erteilten Aufgaben gar nicht kompetent. 2009 übernahm das Konkurrenzunternehmen Triple Canopy den Großteil des Irak-Auftrags von Blackwater – und das Personal gleich mit.