piwik no script img

Der Charme der Farbe Blau

PERSPEKTIVWECHSEL Der neue Direktor der Lübecker Overbeck-Gesellschaft startet mit einer fast reinen Malerei-Ausstellung über beiläufige Dinge, changierend zwischen Realismus und Abstraktion

Zybok soll den Kurs seiner Vorgängerin korrigieren, die aufs Konzeptionelle setzte

Eigentlich ist es das totale Understatement: von der „Beiläufigkeit der Dinge“ zu reden. Denn gerade was man beiläufig nennt, markiert und kenntlich macht – das ist es nicht. Es ragt heraus und will gesehen werden.

Obwohl die gleichnamige Ausstellung in Lübecks Overbeck-Gesellschaft zunächst an durchschnittliche Existenzen denken lässt, wenn man die riesigen, expressiv-popartig gemalten Frauengesichter mit Gurkenmaske sieht. Cornelius Völker hat sie ohne Rücksicht auf Peinlichkeiten gemalt – welche Frau will schon so erwischt werden. Er hat erbarmungslos hinter die Bühne geschaut und alles grell gemacht. Farbe und Form, Gegenstand und Abstraktion – es sind keine neuen Ideen, die Oliver Zybok, seit Januar Chef der Lübecker Overbeck-Gesellschaft, in seiner ersten Ausstellung präsentiert, aber das ist ein gewolltes Back to the Roots. Denn Zybok, der erste bezahlte Direktor in der Geschichte des Vereins, soll den Kurs seiner Vorgängerin korrigieren, die allzu stark aufs Konzeptionelle setzte. Der Neue, bis dato Chef der städtischen Galerie im nordrhein-westfälischen Remscheid, hat Ernst gemacht: Eine Gruppenausstellung, fast komplett aus Malerei bestehend, hat er eingeholt und dabei Gespür für Qualität bewiesen.

Da hängen Bilder des 2013 verstorbenen Bremers Norbert Schwontkowski, der stets gegenständlich malte. Aber immer waren Magie und Poesie dabei, wenn er eine Meute roter zusammengeklappter Sonnenschirme auf einen abstrakten dunklen Bildgrund setzte. Denn damit geraten sie sofort in eine andere Dimension, ins schwer fassbare Irgendwo. Fast könnte man sagen, er habe den Dingen beim Weg in die Abstraktion zugesehen. Und er holt sie wieder zurück: auf dem Bild „Dark Room“, einem Filmrollengewirr, über dem eine winzige Glühbirne baumelt. Denn ein Maler, ein Bild braucht ja Licht, und das hat Schwontkowski hier augenzwinkernd wieder hineingegeben. Der Künstler wird zum Licht schöpfenden Gott, wohl wissend, dass die Funzel nicht reicht.

Auch Eberhard Havekost schöpft: Strukturen eines Ledersofas, so hyperrealistisch gemalt, dass Falten erscheinen, die gar keine Logik haben, denn da sitzt ja keiner. Aber vielleicht ist gerade jemand aufgestanden, der Künstler zum Beispiel, der sich so wieder ins Bild schlich. Oder hat man sich getäuscht? Andererseits täuscht sich der Mensch ja die ganze Zeit in seiner Realitätswahrnehmung, ist doch jeder Begriff schon Abstraktion. Gemalt sieht das so aus, dass bei Peter Schmersal Jacke und Stuhl orientierungslos auf gelbem Grund schweben wie die Heiligen mittelalterlicher Tafelbilder – als wollten sie sagen: Gravitation ist Einbildung.

Was sie ja auch ist, und die Himbeeren von Völker sind es ebenfalls, diese Reminiszenzen an Stillleben des 17. Jahrhunderts, auf denen die Vergänglichkeit gefeiert wurde. Ist das eine zertretene Beere oder ein Sinnbild blutender Eingeweide?

Man kann hineindeuten, was man will, kann den Blick für die subtile Symbolik des Alltags wieder gewinnen, und auf dem Grat zwischen Malerei und Installation wandeln, die eigenen Blickgewohnheiten reflektierend. Stefan Pfeiffer hat monochrom hellblaue Leinwände neben Handtücher und steinerne „Seifenstücke“ gehängt. Ästhetische Installation oder Waschraum-Anmutung? Die Sache ist ambivalent. Eigentlich ist das Taubenblau himmlisch schön. Deutet man das Ensemble als schmuddelige Kachelwand, wirkt es muffig, riecht sogar.  PS

bis 26. 4., Overbeck-Gesellschaft, Lübeck

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen