Gerade mal das Dach überm Kopf

MIGRATION Der Staat versagt bei der Integration von Flüchtlingen, sagt Barbara John, Chefin des Paritätischen Berlin. Freie Träger der Wohlfahrtspflege springen in die Bresche. Doch das Ehrenamt löst nicht alle Probleme

■ Das Chaos in den Unterkünften und die desolate staatliche Integrationsarbeit seien „hausgemacht“ – das sehen auch die Piraten so. Die Pläne des Senats zum Bau neuer Flüchtlingsheime aus Fertighäusern sind bei der Partei auf scharfe Kritik gestoßen. „Seine Initiative kommt drei Jahre zu spät. Die nun angekündigten 7.200 Plätze decken längst nicht den Bedarf“, sagte der Piraten-Abgeordnete Fabio Reinhardt am Montag. Grundsätzlich sei es auch sinnvoller, die Flüchtlinge in Wohnungen statt Massenquartieren unterzubringen. Sozialsenator Mario Czaja (CDU) hatte angekündigt, in den nächsten beiden Jahren an 36 Standorten große Heime aus Fertighausbauten zu errichten (taz berichtete). An jedem Standort sollen meist zwei mehrstöckige sogenannte modulare Wohneinheiten stehen. Die Baukosten könnten bei über 160 Millionen Euro liegen. (dpa, taz)

VON SUSANNE MEMARNIA

Es wird viel geredet über die Probleme bei der Unterbringung von Flüchtlingen: Die Frage, wo und wie man allen, die nach Berlin kommen, ein Dach über dem Kopf bieten kann, lastet Politik und Verwaltung derzeit völlig aus. Und nicht nur hier: „Überall in Deutschland ist Flüchtlingspolitik reduziert auf Unterbringungspolitik“, sagte Barbara John, Vorsitzende des Paritätischen Berlin und der Stiftung Parität, am Montag bei einem Pressegespräch über „Berliner Flüchtlingshilfe unter Paritätischem Dach“. Dadurch komme alles Weitere, was den Menschen hilft, hier Fuß zu fassen, zu kurz, kritisierte sie. „Eine Infrastruktur für Integration existiert auf staatlicher Seite nicht“, so John.

Hier springen die freien Träger der Wohlfahrtspflege ein. Der Paritätische und seine Stiftung etwa finanzieren derzeit über 30 Projekte für Flüchtlinge in Berlin, erklärte der Geschäftsführer des Verbands, Oswald Menninger. Rund 320.000 Euro habe man dafür allein seit Herbst 2014 ausgegeben, weitere 100.000 Euro würden derzeit verteilt.

Eines dieser Projekte sind die „Flüchtlingslotsen“ der Gesellschaft für interkulturelles Zusammenleben (GIZ) in Spandau. Die drei von der Integrationssenatsverwaltung kofinanzierten Sprachmittler begleiten Flüchtlinge bei Behörden- und Arztgängen, Schulanmeldung und Ähnlichem, erklärte Britta Marschke. Zwar seien dies eigentlich Aufgaben der Sozialarbeiter in den Heimen, deren Betreiber dafür vom Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) bezahlt werden. Doch da die Heimsozialarbeiter je nach Vertrag für 60 bis 120 Flüchtlinge zuständig seien, „können sie nur das Allernotwendigste machen, aber keine Einzelfallbetreuung“, so Marschke. Auch die neuen Lotsen, die im Herbst ihre Arbeit aufgenommen haben, betreuten nun 250 Personen und seien damit voll ausgelastet.

Dass Wohlfahrtsverbände im Flüchtlingsbereich oft den Ausputzer machen für staatliche Versäumnisse oder Unterfinanzierung, zeigt auch ein anderes Projekt der GIZ: ein Sprachkurs für 15 Frauen – gesponsert von einer Geschäftsfrau. Anrecht auf einen Sprachkurs haben Flüchtlinge nämlich erst nach der Anerkennung ihres Asylantrags – auch wenn dies Monate oder gar Jahre dauern kann. „Es gibt daher schon länger die Forderung, dass alle Flüchtlinge ab der Aufnahme ins Heim ein Anrecht auf einen Sprachkurs haben“, sagte Barbara John.

Faktisches Arbeitsverbot

Kritik an den politischen Vorgaben äußerte auch Barbara Meyer vom Internationalen JugendKunst- und Kulturhaus Schlesische Straße 27. Dort können Flüchtlinge im Projekt Arrivo Praktika in Berliner Betrieben machen oder beim Projekt Cucula Möbel designen. „Gerade der Arbeitsbereich ist für Flüchtlinge wichtig“, so Meyer, die Menschen wollten tätig sein, sich einbringen – und der Gesellschaft, die sie aufgenommen hat, etwas zurückgeben. Genau dies aber werde staatlicherseits verhindert – sogar für ein Praktikum eine Arbeitserlaubnis zu bekommen sei schwer, kritisierte Meyer. Die Abschaffung des faktischen Arbeitsverbots durch Vorrangprüfung stehe daher weiter auf der Agenda, ergänzte Holger Spöhr, Referent Migration des Paritätischen.

Die positive Kehrseite der Medaille: Wo Staat fehlt und freie Träger einspringen, ist viel Raum für nachbarschaftliches und ehrenamtliches Engagement. So berichtete Anna Asfandiar von einem neuen Patenprojekt in der Fabrik Osloer Straße, einem soziokulturellen Zentrum in Wedding: Im multikulturellen Soldiner Kiez, in dem vor Kurzem zwei neue Flüchtlingsheime eingerichtet wurden, „haben wir genug Leute, die die Sprachen der Flüchtlinge sprechen und bereit sind zu helfen“.

Auch Karsten Hein, Lehrbeauftragter für Fotografie der Alice Salomon Hochschule (ASH) in Hellersdorf, der ein Fotoprojekt mit Kindern im dortigen Flüchtlingsheim betreut, erlebt viel Engagement – auch wenn die Nachbarschaft weiterhin gegen das Heim eingestellt sei. „Ich war überrascht von dem Andrang: Nicht nur viele Kinder wollten mitmachen“, so Hein, „sondern auch viel mehr Studenten, als wir brauchten.“

„Hausgemachtes“ Chaos

Doch das Ehrenamt löst nicht alle Probleme. „Bei aller Begeisterung für ehrenamtliche Arbeit: Wir müssen aufpassen, dass wir den Staat nicht aus der Verantwortung entlassen“, sagte Dietrich Koch von der Beratungsstelle für traumatisierte Flüchtlinge, Xenion. Seit sechs Jahren sei bekannt, dass die Zahl der Flüchtlinge steigt, „aber nichts wurde getan“, so Koch. Das Chaos in den Unterkünften und die desolate staatliche Integrationsarbeit seien „hausgemacht“.