700.000 gegen die Regierung auf der Straße

BRASILIEN Erneut mobilisiert die rechte Opposition Massenproteste gegen Präsidentin Dilma Rousseff

Rousseff und ihr Kommunismus sollen nach Kuba oder Venezuela verschwinden

AUS RIO DE JANEIRO ANDREAS BEHN

Erneut sind Hunderttausende in Brasilien gegen die Regierung von Dilma Rousseff auf die Straße gegangen. Die Prachtstraße Avenida Paulista in São Paulo verwandelte sich am Sonntagnachmittag in ein gelb-grünes Meer. Fahnen, Gesichtsbemalung, T-Shirts der Nationalelf und auch die meisten Transparentsprüche prangten auf gelb-grünem Hintergrund. Die Polizei zählte über 250.000 Demonstranten in der Industriemetropole, landesweit bei Veranstaltungen in 250 Städten über 700.000 Menschen, die einen Regierungswechsel fordern.

Das waren insgesamt weit weniger als am ersten Nationalen Protesttag der Rechten vor einem Monat, als am 15. März laut Polizei an die 2 Millionen demonstrierten. Unverändert allerdings das Meinungsspektrum dieser neuen Protestbewegung, die von der weißen Mittelschicht und dem traditionell wertkonservativen Kern der brasilianischen Gesellschaft dominiert wird.

Konsens ist das „Fora, Dilma!“ – „Weg mit Dilma!“ Meist wird ein Amtsenthebungsverfahren gefordert, über das rechte Politiker und die Medien gerne reden, das aber jeglicher rechtlicher Grundlage entbehrt. Es geht dabei um den Korruptionsskandal beim halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras, bei dem Rousseff jahrelang dem Verwaltungsrat vorstand. Sie soll gewusst haben, dass seit 2005 Milliardengelder veruntreut und in die Schwarzkassen von Regierungsparteien, unter anderem ihrer Arbeiterpartei (PT), umgeleitet wurden.

Die Mobilisierung für den Massenprotest fand abermals fast ausschließlich in Internet statt. Auf den Demonstrationen wirkt es so, als habe die PT nicht nur die Korruption erfunden, sondern als sei sie für alle Probleme des Landes verantwortlich zu machen. Sie wird als Krebsgeschwür bezeichnet, Rousseff und ihr Vorgänger Lula sollen samt ihrem „Kommunismus“ nach Kuba oder Venezuela verschwinden. Stark präsent auch wieder die Fraktion, die eine „Militärintervention“ und die „Wiedereinführung der Diktatur“ fordert.

Trotz sinkender Teilnehmerzahlen ist die Kraft der Protestbewegung nicht zu unterschätzen, zumal sie von den Massenmedien unisono verstärkt und vom rechtslastigen Parlament pauschal für das Ziel einer konservativen Wende vereinnahmt wird. Nur noch 13 Prozent der Bevölkerung unterstützen einer neuen Umfrage zufolge die PT-Regierung, zwei Drittel plädieren angeblich für ein Amtsenthebungsverfahren.

Rousseff hat wahrlich keinen leichten Stand seit ihrer Wiederwahl. Die durch die weltweite Flaute bedingte Wirtschaftskrise macht Brasilien und den aufschwungverwöhnten Brasilianern zu schaffen. Der erneute Korruptionsskandal bringt die PT und auch ihre fragwürdigen Bündnisse mit rechten oder evangelikalen Koalitionsparteien an den Rand des Abgrunds. Rousseff agiert glücklos im politischen Krisenmanagement, während Rechte aller Couleur Morgenluft wittern. Und am Mittwoch werden Linke und soziale Bewegungen auf die Straße gehen – gegen die von Rousseff als Entgegenkommen an die Opposition verordnete Sparpolitik und gegen das Rollback im Parlament, wo als Erstes die Herabsetzung des Alters für Strafmündigkeit durchgesetzt werden soll.