Einsendeschluss: 20. April

Der Dichter August Hinrichs war engagierter Nazi, trotzdem hält ihn die Stadt Oldenburg in Ehren. Das tut auch die August-Hinrichs-Stiftung, die nun für einen Schreibwettbewerb Hitlers Geburtstag als letzten Abgabetermin wählte – aus Versehen

von Felix Zimmermann

Wie es sich genau zugetragen hat, lässt sich nicht sagen, dazu spielen die Beteiligten den Vorgang zu sehr herunter. Sie hätten zusammengesessen und nach einem Termin gesucht, der allen passte, und der nicht in den Osterferien liegen sollte, irgendwann Mitte April halt, sagt Dirk Hinrichs. Um ihn geht es, vor allem aber um seinen Großvater, den Verfasser plattdeutscher Romane und Theaterstücke August Hinrichs.

In Oldenburg erinnert eine Straße an Hinrichs, die niederdeutsche Sparte des Oldenburgischen Staatstheaters heißt seit 1938 August-Hinrichs-Bühne, und 1944 wurde Hinrichs Ehrenbürger der Stadt. Als „Helfer des Führers“, so steht es in der Ehrenbürgerurkunde, die bis heute gültig ist.

„Schlicht nicht bedacht“

Hinrichs war ein Nazi, als Landesleiter der Reichsschrifttumskammer sogar Teil des Systems. Und nun wählte die Fünf-Personen-Runde, der Dichter-Enkel Dirk Hinrichs vorsteht, ausgerechnet den 20. April als Einsendeschlusstag für Beiträge, die sich für den Jugendförderpreis der August-Hinrichs-Stiftung bewerben. Der 20. April ist Hitlers Geburtstag.

Michael Brandt, Geschäftsführer der Oldenburgischen Landschaft, die das kulturelle Erbe des Oldenburger Landes aufrechterhalten soll und die August-Hinrichs-Stiftung verwaltet, sagt, es sei „schlicht nicht bedacht“ worden, dass das Datum 20. April im Zusammenhang mit Hinrichs Biographie pikant sein könnte. Dirk Hinrichs sagt, irgendein Datum habe man eben gebraucht, und Mitte April habe allen gepasst.

Der Förderpreis speist sich aus den Tantiemen der Hinrichs-Werke, die immer noch gespielt werden, und soll junge Leute dazu anregen, die plattdeutsche Sprache lebendig zu halten. Theaterstücke können eingereicht werden, Kurzgeschichten, Liedtexte und vieles mehr, auch Bearbeitungen historischer Stoffe.

Letzteres hat August Hinrichs auch gemacht, indem er – auf Anregung hoher Nazi-Funktionäre – in den 1930ern „De Stedinge“ schrieb. In dem Drama wird an die heroisch für ihre Rechte kämpfenden Bauern aus dem Stedinger Land erinnert, die 1234 in der Schlacht von Altenesch von einem Bremer Kreuzfahrerheer geschlagen wurden. Die Nazis brauchten so ein Stück, um ihre Freilichtbühne „Stedingsehre“ in Bookholzberg bei Delmenhorst zu bespielen.

Die Stedinger Bauern im Kampf als Versinnbildlichung für das starke, deutsche Volk im Kampf um sein Heil. Hinrichs gelang das gewünschte „Weihespiel“, ein Propagandastück erster Güte, das vor Zehntausenden von Zuschauern zwischen 1935 und 1937 aufgeführt wurde. Auch deshalb wurde der Dichter zum Ehrenbürger der Gauhauptstadt: Weil er, wie es in der Urkunde heißt, die ihm am 18. April 1944 zu seinem 65. Geburtstag überreicht wurde, „auch in dem schweren Schicksalskampf, in dem unser Volk seit mehr als vier Jahren steht, durch seine lebensvollen Gestalten bedeutsame seelische Kräfte in Front und Heimat entfalten half“.

Man sieht schon von Hinrichs inspirierte Volksschmonzetten mit dem Poststempel „20. April“ eingehen, sollte aber dennoch Dirk Hinrichs und die vier anderen Jurymitglieder des August-Hinrichs-Preises nicht in eine Ecke rücken, in der sie nicht stehen. Natürlich ging es ihnen nicht darum, mit dem Einsendeschlusstag ein Zeichen der Erinnerung an die alte Verbindung zwischen Hitler und Hinrichs zu setzen. Nein, es war wahrscheinlich wirklich eine – nicht unbedenkliche – Mischung aus Unbedarftheit und Geschichtsvergessenheit, die sie diesen Tag wählen ließ. Zielsicher ungeschickt.

Dirk Hinrichs, Jahrgang 1944, sagt, er habe in der Schule nicht gelernt, dass der 20. April Hitlers Geburtstag war. Er sagt auch, man dürfe einen Menschen, also seinen Großvater, nicht nur nach „diesen 12 Jahren“ beurteilen. Für ihn sei die Jugendförderung wichtig, natürlich auch die Idee, mit dem Preis die August-Hinrichs-Stiftung in die Öffentlichkeit zu bringen. Dass es jetzt so gekommen ist: Herrje! Dabei ist sich Hinrichs der umstrittenen Rolle seines Vorfahren in der NS-Zeit durchaus bewusst. Auf der Internetseite der Hinrichs-Stiftung verschweigt er nicht, dass der Dichter mit „De Stedinge“ das ideologisch passende Stück lieferte und später Landesleiter der Reichsschrifttumskammer wurde.

Ehrenbürger, immer noch

Während man dem Hinrichs-Enkel kritiklose Distanzlosigkeit dem Ahnen gegenüber nicht vorwerfen kann, bedarf die Stadt Oldenburg noch einiger Nachhilfe im Umgang mit ihrem Ehrenbürger. In der Ehrenbürgergalerie auf der städtischen Internetseite wird Hinrichs Verstrickung mit dem Regime unterschlagen. Erinnert wird an seine ersten Verse, die er für gesellige Abende des Oldenburger Turnerbundes geschrieben habe, sowie an plattdeutsche Bühnenstücke wie „Vör de Katt“. Kurios liest sich der Satz, dass Hinrichs die Ehrenbürgerwürde „als Anerkennung für seine schriftstellerischen Dienste“ erhalten habe.

Die Internetseite soll nach Auskunft von Stadtsprecher Marco Sagurna „mit einigen kritischen Hinweisen“ versehen werden. An Hinrichs’ Ehrenbürgerschaft wird sich aber wohl nichts ändern. Neben ihm bekamen nur noch Hitler und der Gauleiter Carl Röver die Ehrenbürgerwürde in Oldenburg und wurden 1948 wieder aus der Ehrenbürgerliste gestrichen. Hinrichs wird als Einziger übrig bleiben, auch wenn er, wie die Historikerin Anke Finster in ihrer Dissertation schreibt, mit der Übernahme des Amtes als Landesleiter der Reichsschrifttumskammer „die Konsolidierung des totalitären Staates förderte und das NS-System stütze, indem er sich einbinden ließ“.

Zweimal scheiterten Initiativen des Oldenburger Journalisten Klaus Dede, Hinrichs ebenfalls zu streichen. Der Stadtrat stimmte jeweils dagegen, weil Hinrichs niemandem geschadet habe. Vielleicht verarbeitet ja auch jemand diesen historischen Stoff auf Platt und reicht ihn ein. Einsendeschluss: 20. April.