berliner szenen Loretta und ich

Im Humboldthain

Wir joggten an der großen Baracke vorbei, dem Hochbunker im Humboldthain. Türkische Familien lustwandelten unter den Bäumen. Der Wedding vibrierte, die Schatten kamen näher, Menschen saßen in der spärlichen Wintersonne. Körper in Kleidern, stilles dunkelblaues Wasser. Liebespaare auf Parkbänken. Der Krieg blieb heiß. Wir schnauften durch und setzten uns. Wir schwitzen leicht, aber nicht unangenehm, unsere Atemzüge rasselten, wir fühlten uns anschmiegsam und querelastisch.

Nach einer Weile schafften wir die ersten Worte, mühsam pressten wir sie zwischen die Zähne. Ich erzählte, ich hätte neulich endlich Nina Persson kennen gelernt. Auf der Party einer Plattenfirma (so was gibt es noch, obwohl es wie aus einem anderen Jahrhundert wirkt). Seitdem trage ich dieses Bild im Kopf herum, dieses Bild, wie Nina wie unbeteiligt eine CD in ein Gerät schiebt, während ich auf sie einrede, und sie lächelt nirgendwohin. Ich dachte kurz an Entführung, vielleicht ergäbe sich ein Stockholm-Syndrom, aber dann sank mein Selbstbewusstsein auf das Niveau eines Bettnässers. Sie war nicht interessiert, klagte ich.

Loretta strich mir mit der Hand über die Wange. Ihre Hand fühlte sich müde an, kalt und deprimiert. Ich flüsterte ihr was von Produktfamilien ins Ohr. Ich hatte Lust, ihr die Schuhe auszuziehen, aber dafür war es zu kalt. Schließlich standen wir auf und schlichen auf die Straße zurück. Aus den Ruinen der Brunnenstraße dampfte es. Wir dampften mit. Ein Besen ragte aus einem Hauseingang heraus, in den er gleich wieder verschwand, ein DJ schleppte Platten in den fünften Stock. Wir dachten an Mietwäsche und den jetzt viel zu langen Heimweg. An den Ampeln atmeten die Autos. RENÉ HAMANN