Manche mögen’s heiß

Zu fett gegessen über die Festtage? Zu viel gefeiert an Silvester? Ordentlich schwitzen kann da helfen. Nur wo? Berlins Saunalandschaft bietet fast alles: Vom CDU-Klüngel-Treff über das orientalische Hamam bis zu feinen Adressen. Ein Überblick

Es geht um nichts als Schwitzen – dabei kann man bestens über alles sprechen

VON ANTONIA HERRSCHER
UND HELMUT HÖGE

Zwei Schneemänner überlegen sich, was sie am Abend machen sollen: „Was hältst du von Sauna?“ – „Nichts! Das geht immer so an die Substanz!“

Wer im Al Andalus (früher blub) in der Neuköllner Buschkrugallee oder in den Thermen am Europacenter über so einen Witz lacht, wird auf eines der hölzernen Schilder verwiesen, die in allen Saunen hängen: „Hier wird geschwiegen“. Neben den Liegestühlen ist zu lesen: „Ruheraum – Bitte Ruhe!“ Die eine Sauna bezeichnet sich als „attraktivste“, und die andere als die „größte Sauna Berlins“. In dieser verkehren vor allem Büroangestellte und Verkäuferinnen, die in der Umgebung des Ku’damms arbeiten und scheinbar alle dicke Prozente auf Reizwäsche kriegen.

Ein wenig aufgemischt wird diese schweigende Mehrheit durch eine russische Stammkundschaft. Sie scharen sich um die heißesten Aufgüsse. „Sind die zu stark – bist du zu schwach!“ Und hinterher in eines der zahlreichen Eisbecken zu springen, ist fast ein Muss.

Deutlich gelassener geht es in der Solf-Sauna an der Bundesallee zu. Hier wird man immer wieder in Plaudereien verwickelt oder mindestens Zeuge anspruchsvoller Gespräche zwischen esoterisch angehauchten Maschinenbauingenieuren und geistig aufgeschlossenen Friseursalonbesitzerinnen. Die Klientel stammt großteils aus der Nachbarschaft. Da sich die Gegend schon seit Jahren entvölkert, entsteht auch in dieser Sauna der Eindruck eines geordneten Rückzugs aus dem Wellnessgeschäft. Die nächste Investition könnte bereits dem Umbau zu einem Swingerclub dienen.

Wer günstig saunen möchte, kann tatsächlich auch einen der zahlreichen Swingerclubs der Stadt aufsuchen. Im Kreuzberger „Zwanglos II“ (früher „Zwielicht III“) ist der Einritt für Frauen sogar umsonst, Getränke inklusive. Dafür zahlen die Männer mehr als 100 Euro. Während an den Theken endlos über Sex geredet wird, versuchen sie in der Sauna eher wortlos zur Sache zu kommen. „Wir haben Verständnis für Toleranz“, lautet denn auch die Telefonansage eines „Saunaklubs“ in Karlshorst. Der Swingerclub („Donnerstags ab 15 Uhr heißer Gang-Bang“, „Samstags Kaltes Buffet“) erscheint so als die Erfüllung der zotigsten Saunawitze, wie man sie zu Dutzenden im Internet findet.

Das orientalische Hamam steht in dem Ruf, ein von heißem Dampf verhüllter Ort der Erotik zu sein. Jedenfalls bei den Westlern. Ihnen ist es dort allerdings meist zu kalt. Außerdem: Das Hamam der Schokofabrik am Heinrichplatz ist ausschließlich den Frauen vorbehalten, und das Sultan Hamam in der Bülowstraße immerhin an fünf Tagen. Hier wird laut geschwatzt und sich hemmungslos abgeschrubbt, man liegt auf heißem Marmor und begießt sich von Zeit zu Zeit mit kühlem Nass. Es geht um Wohlfühlen, nicht um Wellness. Ein Ort des Rückzugs und der körperlichen Selbstliebe. Spätestens nach zwei Stunden friert man aber wie eine Schneiderin. Da hilft viel süßer Tee. Im Hamam tun die Frauen nur bedingt etwas für ihre schlanke Linie. Eine Waage sucht man hier deswegen vergeblich.

Ganz anders geht es im Saunabereich des American Fitness bei Karstadt am Hermannplatz zu, wo viele türkische Männer verkehren. Während diese in Grüppchen auftreten, sind die westlichen Sportsfreunde eher Einzelkämpfer – vor allem an den Geräten. Wer des Türkischen mächtig ist, kann sich über das Wetter und den Kiez unterhalten. Weitere Themen sind Jobsuche und „Onkel Ömer“. Wenn im Hamam die Geselligkeit im Vordergrund steht, geht es in Muckibuden wie diesen um Leistung – im Abonnement und mit physiotherapeutischer Beratung. Ein typischer Sauna-Gesprächsbeginn geht dort so: „Na, Sport gemacht?“ „Ja, heute bin ich zwölf Kilometer gelaufen. Mit gemütlichen sieben Stundenkilometern. Nur zwischendurch habe ich mich erschrocken, weil mein Cardio-Empfänger den Puls meines linken Laufnachbarn bei mir angezeigt hat. Und der machte ehrgeiziges Intervalltraining.“

In den kleinen Privatsaunen in Prenzlauer Berg, aber auch in etlichen Schwulensaunen im Osten versucht man eher unangestrengt, Fitness und Feierabend zu verbinden. Hier verkehren meist enge Freundeskreise. Als Außenstehender kann man sich da leicht verloren vorkommen.

Im städtischen Bad hingegen, wie etwa im Stadtbad Neukölln, sind Intimität und Öffentlichkeit kein Widerspruch. Hier sitzen der Bezirksbürgermeister, der Facharzt für Nervenheilkunde, der in der Nähe eine gut gehende Praxis hat, und der Wirt der Eckkneipe zusammen im Dampfbad. Das ähnelt unfreiwillig einer Tropfsteinhöhle, weil sich der Kalk der letzten hundert Jahre an der Decke angesammelt hat. Im vollverkachelten Liegeraum versucht eine einsame Plastikpalme einen Hauch von „Spa“ zu verbreiten. Vergeblich. Eher kommt man sich vor wie im „Anwendungsbereich“ einer Lungenklinik. Und gerade das ist der besondere Charme dieser alten Bäder. Es geht um nichts als Schwitzen – dabei kann man bestens über alles sprechen. Nur leider sterben sie langsam aus oder werden zu Wellnessoasen umgebaut auf den Spaßbademarkt.

Wer es sich leisten kann, kündigt diese „Public-Private-Partnership“ auf und baut sich stattdessen den Schuppen hinter seiner Datsche zu einer Sauna um. In einer solchen hinter Eberswalde versammelt sich inzwischen regelmäßig das Who’s who der Oranienstraße inklusive BKA. Neulich klingelte dort bei einem mitten im Aufguss das Handy. Auf die erstaunte Frage, warum er das Ding dabei habe, antwortete der Angerufene: „Wenn ich es zu Hause lasse, mach ich mich doch gleich verdächtig.“

Hinter Marzahn gibt es eine generalüberholte LPG-Sauna, wo sich „Einheitsverlierer“ treffen und über ABM und Rote Socken schimpfen. Nicht weit davon entfernt hat ein Ehepaar, das im Rat des Bezirks arbeitete und schon immer eine Finnlandmacke hatte, eine schicke Finnsauna eingerichtet. Dort treffen sich die neuen Selbstständigen und reden über Fördermittel und -maßnahmen. Es geht hier original finnisch zu. Nach dem Aufguss reicht die Herrin des Hauses gerne den berühmt-berüchtigten „Kossu“ (Koskenkorva Vodka). Nach drei Runden geht einer raus. Die anderen müssen raten, wer von ihnen fehlt. Sehr lustig.

Die Thermen an der Heerstraße, Berlins „älteste Sauna“, sind da weniger lustig. Die CDU-Politik der Stadt ist dort quasi ständiges Thema. Und Nicht-CDUler werden vor dem Kamin auch schon mal rüde weggebissen. Ein SPD-Betriebsrat aus dem nahen Corbusierhaus gab dort nichtsdestotrotz folgendes Erlebnis zum Besten: Er war in die Lindgren-Sauna der skandinavischen Botschaft eingeladen worden. Anschließend ließ er sich von einer schwedischen Masseurin durchkneten. Weil ihr wohl langweilig wurde und sie sich ein wenig unterhalten wollte, begann sie ein Gespräch – mit den Worten: „Og svenske?“ Woraufhin der Ex-Juso freudig erwiderte: „Oh ja, bitte!“