Mittel wahllos eingesetzt

„Ohrfeige für die Bundesanwaltschaft“: Anwälte vermeintlicher Terrorverdächtiger aus Norddeutschland sind zufrieden mit der BGH-Entscheidung zu den Ermittlungen gegen G-8-Gegner

AUS HAMBURG KAI VON APPEN

Mit Genugtuung haben die Verteidiger der sieben unter Terrorverdacht gestellten Globalisierungsgegner aus Hamburg und Bremen am Freitag auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) reagiert, dass Aktionen während der „Militanten Kampagne“ gegen den G-8-Gipfel nicht als Terrorismus einzustufen sind. Daher, so entschieden die Richter weiter, seien Bundesanwaltschaft (BAW) und der Ermittlungsrichter vom BGH nicht zuständig gewesen. Eine „schallende Ohrfeige für die BAW“ nannte der Hamburger Rechtsanwalt Andreas Beuth den Beschluss, der auch seinen Mandanten Fritz Storim betrifft.

Storim, dessen Hamburger Wohnung im Mai 2006 zehn Stunden lang gefilzt worden war, ist Mitarbeiter der Bremer Messstelle für Arbeits- und Umweltschutz (MAUS). Auch deren Computer, Disketten und Unterlagen wurden bei der Razzia weitgehend beschlagnahmt. Beuth hat „die BAW aufgefordert, sämtliche Unterlagen bis Montag zurückzugeben“.

In dem 22-seitigen Beschluss setzten sich die Karlsruher Richter auch mit der Frage auseinander, ob überhaupt von einer Vereinigung im Sinne des Paragrafen 129 Strafgesetzbuch (Kriminelle Vereinigung) ausgegangen werden kann. Das muss nun die Hamburger Staatsanwaltschaft prüfen. Es sei aber unwahrscheinlich, so die Einschätzung der BGH-Richter, dass die zwölf Anschläge im Vorfeld des G-8-Gipfels nur einer einzigen Organisation anzulasten seien. Vermutlich seien sie vielmehr von mehreren Gruppe verübt worden – mehrere autonome Gruppen allerdings seien keine Vereinigung.

Der Vorwurf, dass die Beschuldigten an den Brandstiftungen überhaupt beteiligt gewesen sind, beruhe wiederum nicht auf Tatsachen, sondern auf „bloßen Vermutungen“, so die Richter. „Das Konstrukt der terroristischen oder kriminellen Vereinigung ist kläglich zusammengebrochen“, sagt Beuth. Es sei „gelungen, die Repression gegen linke Strukturen politisch und juristisch zurückzuweisen“. Der Anwalt rechnet damit, dass das Ermittlungsverfahren eingestellt wird.

Für Beuths Kollegen Manfred Getzmann, der einen weiteren Beschuldigten vertritt, wirft die BGH-Entscheidung ein bezeichnendes „Bild auf die Ermittlungsmethoden der BAW“: Wahllos seien andersdenkende Menschen und deren Umfeld mit dem ganzen Repertoire polizeilicher und geheimdienstlicher Mittel überzogen worden. So sei bei seinem Mandanten die Wohnung heimlich verwanzt, die Telefone in dem Altenpflegebetrieb seien abgehört und Patientengespräche aufgezeichnet, sowie Mobiltelefonate seiner Kollegen belauscht worden.

„Das war kein Großer Lauschangriff, dass war ein Riesenlauschangriff“, schimpft Getzmann. Ermittlungsmethoden, die man früher als „DDR-Maßnahmen“ gegeißelt hätte, seien „völlig außer Kontrolle geraten“ und hätten den „Überwachungsstaat greifbar gemacht“.

Auch wenn die Verfahren eingestellt werden, und somit die „permanente psychische Belastung“ durch eine „massive Angriffssituation“ entfalle, nennt die Anwältin Britta Eder die jüngste Entwicklung keine echte Rehabilitierung: Die Polizei habe es rechtswidrig gemacht, sagt sie, „aber was sie wollte, hat sie erreicht“. Die Auswirkungen auf die Betroffenen und ihr Umfeld seien „durch den BGH-Beschluss nicht mehr rückgängig zu machen“. Die Juristin weist darauf hin, dass ihrem Mandanten aufgrund des Verfahrens von der Bank das Konto gekündigt worden sei. Nachbarn hätten Zettel an die Haustür gehängt: „Wir wollen keine Terroristen im Haus.“

Beuth geht trotzdem davon aus, dass die radikale Linke aus dem Verfahren gestärkt hervorgeht. „Die Spaltung zwischen friedlichen und unfriedlichen G-8-Gipfelgegnern ist gescheitert“, sagt der Jurist.

Die BAW hatte den G-8-Gipfelkomplex Ende Dezember 2006 an sich gezogen und Ermittlungen nach dem „Terror-Paragrafen“ 129a eingeleitet, nachdem ein Brandanschlag auf das Auto der Ehefrau des Hamburger Bundesfinanzstaatssekretärs Thomas Mirow (SPD) verübt worden war. Zuvor waren bereits die Fahrzeuge des Direktors des Hamburgischen Weltwirtschafts-Instituts Thomas Straubhaar und des Leiters der Euler-Hermes-Kreditversicherung, Stefan Fiebeler, sowie das Gebäude einer Hamburger Reederei Ziele von Brandstiftungen gewesen.

Auf dem Instrument des Paragrafen 129a fußten auch die umfangreichen Briefkontrollen, die der Staatsschutz in einem Hamburger Briefverteilzentrum durchführte (taz berichtete) – auch sie hat der BGH für rechtswidrig erklärt.

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