Chancengleichheit für alle Kinder

betr.: „Idee von Erziehungscamps bringt SPD auf“, „Dazu ist die Verfassung zu schade“, taz vom 2. 1. 08

In der Tat ist die Erweiterung des Grundgesetzes unnötig, um Kinder gegen misshandelnde Eltern zu schützen. Dafür reicht das Kinder- und Jugendhilferecht; für die tragischen Fälle von Vernachlässigung und Misshandlung gibt es Familiengerichte und das Strafrecht.

Es ist aber wichtig zu wissen: 90 % der vernachlässigten Kinder leben in Familien, deren Alltag von Armut und Verelendung geprägt ist. Aber nicht nur überforderte und seelisch geschädigte Eltern misshandeln Kinder. Wenn Kinder dauerhaft in Armut aufwachsen, sind die Folgen vergleichbar: Das Wohl der Kinder ist gefährdet, ihre Entwicklung schwer beeinträchtigt. Arme Kinder werden viel häufiger körperlich und seelisch krank, sie sind hinsichtlich Bildung und Ausbildung stark benachteiligt und ihre Chancen zur gesellschaftlichen Teilhabe sind beschnitten. Sogar ihre Lebenserwartung ist um Jahre kürzer als die von Kindern, die in wohlhabenden Familien aufwachsen. All dies ist seit langem bekannt und bewiesen. Insofern ist jede staatliche Maßnahme, die Kinder (und ihre Familien) arm macht und benachteiligt, als systematische Gefährdung des Kindeswohls zu bezeichnen: Hartz IV, Umbau und Abbau der sozialen Sicherung, Niedriglöhne etwa. Solche Maßnahmen verletzen Kinderrechte elementar – umso mehr, als gleichzeitig ein obszöner Reichtum politisch gefördert wird. Denn Chancenlosigkeit und die ständige Erfahrung, zu den Verlierern zu gehören, fördern Gewaltbereitschaft und Delinquenz von Jugendlichen. Vor diesem Hintergrund ist es aufschlussreich zu beobachten, wie die öffentliche Diskussion über Ursachen und Folgen von Armut von Politikern umgelenkt wird in Forderungen nach Erziehungscamps für gewalttätige Jugendliche und Verfassungsartikel gegen misshandelnde Eltern.

Sinnvoll kann also nur ein Staatsziel „Chancengleichheit für alle Kinder“ sein. Darin sollte festgelegt sein, dass Kinderarmut einschließlich jeder Benachteiligung hinsichtlich Gesundheit, Bildung und sozialer Teilhabe verboten ist. GEORG RAMMER, Karlsruhe