die taz vor acht jahren über einen aufschwung ohne arbeitslose
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Die deutsche Wirtschaft wird im laufenden Jahr fast doppelt so stark wachsen wie im vergangenen, meinen renommierte Berliner Wirtschaftsforscher. Der Boom sei vor allem dem Export zu verdanken, und der wiederum liefe so gut, weil deutsche Produkte im internationalen Vergleich so billig zu produzieren seien. Es ist schon fast verkehrte Welt: Jahrelang hieß es, der Standort Deutschland sei zu teuer. Angesichts der hiesigen Stundenlöhne schien da ja auch was dran zu sein, vor allem wenn man die niedrigen Arbeits- und die hohen Urlaubszeiten einrechnet. Doch der Anteil der Lohnkosten an den einzelnen Produkten ist in den letzten Jahren eher gesunken als gestiegen – weil die Löhne in Deutschland moderater steigen als in den anderen westlichen Industrieländern und weil immer mehr Maschinen eingesetzt werden.

Sollen die Gewerkschaften deshalb jetzt einen hohen Lohnnachschlag bei den kommenden Tarifverhandlungen fordern, wenn doch so viel Luft in der Kalkulation der Warenpreise ist? Die Wirtschaft könnte es wohl verkraften, aber gefährlich wäre es trotzdem. Dann nämlich würden die Profite aus den Exporten zwischen den Firmen und deren Beschäftigten aufgeteilt, während die Arbeitslosen wieder einmal leer ausgingen. Für Zurückhaltung bei den Löhnen mehr Leute einstellen, das müsste das Ziel beim Bündnis für Arbeit sein. Doch von der prominent besetzten Kanzlerrunde ist anscheinend derzeit keine solche Einsicht zu erwarten. Dabei gäbe es viel zu tun – die Einführung flexiblerer Flächentarife etwa oder eine bedarfsnahe Qualifizierung für Arbeitslose, die die Industrie dann auch einstellt.

Doch vor allem bei der Wirtschaft ist die Kompromissbereitschaft wenig ausgeprägt. Da können die Arbeitslosen nur auf ihr Glück hoffen, weil ihnen weiterhin niemand wirksam hilft. Denn in diesem Fall wird eben höchstens ein langjähriger Boom wie der in den USA die Zahl der offenen Stellen erhöhen. Reiner Metzger, 5. 1. 2000