die taz vor elf jahren schlägt nach bei lenin
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Rolf Schwanitz, Vize der Ost-Querschnittsgruppe der SPD im Bundestag und stellvertretender Vorsitzender seiner Partei in Sachsen, hat zum Längsschnitt des Strategiepapiers ausgeholt, das sein Genosse Wolfgang Thierse kurz vor Weihnachten vorgestellt hatte. Ergebnis: Thierses Überlegungen führen in die Sackgasse. Sollte es zu Koalitionen zwischen SPD und PDS auf Länderebene kommen, stünden der Partei Massenaustritte, vielleicht sogar die Parteispaltung ins Haus. Natürlich ist Schwanitz’ Angriff auf Thierse ein Produkt der Angst vor weiteren Übertritten ehemaliger Bürgerrechtler ins christlich-konservative Lager und einer neuen Volksfront-Kampagne der CDU. Dennoch sollte, was er zu sagen hat, nicht im Aktenordner „Fallsammlung politischer Hysterie“ abgeheftet werden.

Denn was an Thierses Positionsbestimmung abstößt, ist ihr taktizistischer Grundzug. Thierse hat die Pflicht, dem Publikum zu erklären, wie es seiner Meinung nach um den Grundsatzstreit in der PDS steht und welche Prognose er den demokratischen Entwicklungsmöglichkeiten der Wendesozialisten stellt. Erst von einer solchen Einschätzung aus läßt sich eine stufenweise Einbeziehung der PDS in die „demokratische Verantwortung“ diskutieren. Thierses These, die PDS sei als Regionalpartei für eine Koalition auf Bundesebene ungeeignet, ist formalistisch und inhaltlich (siehe CSU) anfechtbar.

Wenig hilfreich scheint es auch, wenn Thierse der parteiinternen Auseinandersetzung dadurch ausweicht, daß er seine Überlegungen zu „Notizen“ herunterpolt. „Notizen“ können eine Menge in Bewegung setzen, wie Lenins Beispiel zeigt. Dessen Einschätzung der politischen Kräfteverhältnisse im vorrevolutionären Rußland war freilich glasklar. Wo diese Klarheit fehlt, ist der Auftritt von Leuten wie Schwanitz, sind Prinzipienreiterei und Chaos vorprogrammiert. Also genau das, was man vermeiden wollte.Christian Semler, 7. 1. 1997