Schulverweigerer auf dem Weg ins Ausland

Die Bremer Home-Schooling-Familie Neubronner zieht ins benachbarte Ausland, wo erlaubt ist, was in Deutschland als „Sorgerechtsmissbrauch“ gilt. Die Eltern wollen ihre beiden Kinder auch weiterhin zu Hause unterrichten

Anfang Januar hatte Vater Neubronner sich und die beiden Jungen beim Stadtamt in Bremen abgemeldet und als neuen Wohnsitz „England“ angegeben. In England gibt es kein mit dem deutschen Recht vergleichbares Meldewesen. Wie die Mutter gestern auf einer Pressekonferenz mitteilte, habe die Familie auch freundliche Einladungen aus Spanien und Frankreich.

Die Neubronners lassen ihre Söhne zu Hause unterrichten. Da die beiden Kinder zwei Wochen lang im Dezember täglich in der Grundschule in Bremen erschienen seien, sind alle früher ausgesprochenen Zwangsgelder hinfällig, erklärte Behördensprecherin Karla Götz. Auch die Sperrung der Konten sei damit aufgehoben worden. In der Schule sei den Kindern aber „langweilig“ geworden und sie seien erschreckt von der „Brutalität“, die andere Kinder untereinander pflegten – sie wollten lieber zuhause lernen, sagte ihre Mutter.

In den letzten Wochen hätten bereits einige Home-Schooler-Familien Deutschland verlassen, berichtete Dagmar Neubronner – aus Angst vor drohendem Sorgerechtsentzug. Der Bundesgerichtshof hatte diese Maßnahme im Fall einer aus Osteuropa eingewanderten Adventisten-Familie bestätigt und sehr grundsätzlich formuliert: „Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs stellt sich die beharrliche Weigerung der Eltern, ihre Kinder der öffentlichen Grundschule oder einer anerkannten Ersatzschule zuzuführen, deshalb als Missbrauch der elterlichen Sorge dar.“ Dem Vorwurf, die Bremer Behörde plane der Familie das Sorgerecht zu entziehen, widersprach Sprecherin Götz: „Einen Entzug des Sorgerechts haben wir nicht angedroht.“

Dass ausgerechnet deutsche Behörden in dem weltweit erfolgreich praktizierten Home-Schooling einen „Sorgerechtsmissbrauch“ sehen, sei schon abenteuerlich, sagte Dagmar Neubronner: „Deutschland ist mit seinem Schulsystem doch nicht Pisa-Sieger.“ In Kanada würden Home-Schooler sogar mit 1.000 Dollar im Jahr finanziell unterstützt, überall in der EU sei es erlaubt. „Mittlerweile geht es uns auch um Bürgerrechte.“

Natürlich werde Deutschland im Rahmen einer Angleichung der Rechtsverhältnisse in der EU irgendwann nachgeben müssen – „wir sind nur einige Jahre zu früh dran“, gab sie sich erfolgssicher. Im Dezember hatte das Bundesverfassungsgericht sich erstmals mit dem Bremer Fall Neubronner befasst. Dabei ging es um die Prozesskostenhilfe, die in Bremen vom Gericht verweigert worden war. Das Bundesverfassungsgericht sah den Fall nicht im Hinblick auf ein eigenes früheres Urteil als aussichtslos an, sondern rügte das Bremer Verwaltungsgericht, dass eine Prozesskostenhilfe mit diesem Argument abgelehnt hatte.

„Davon fühlen wir uns ermutigt“, sagte der Bremer Anwalt Matthias Westerholt. Er hofft, dass er das Hauptsacheverfahren beim Bremer Oberverwaltungsgericht bald führen kann. Zur Not will er vors Bundesverfassungsgericht ziehen. KLAUS WOLSCHNER