Schlagzeilen gibt es in jedem Fall

Die Debatte um die Verschärfung des Jugendstrafrechts treibt auch die Parteien in den Wahlkampfländern Niedersachsen und Hamburg um: Es gibt herbe Schuldzuweisungen, alte Forderungen und neue Töne von unerwarteter Seite

VON Reimar Paul
, Marco Carini
und Kai Schöneberg

Hessen lässt grüßen: Die von CDU-Ministerpräsident Roland Koch losgetretene Debatte um die Verschärfung des Jugendstrafrechts lässt auch den Wahlkämpfern im Norden keine Ruhe. Von Populismus der Union könne bei dem Thema keine Rede sein, findet Uwe Schünemann (CDU). „Es wäre falsch, wenn man Fakten nicht nennen würde, nur allein weil jetzt ein Wahltermin ist“, sagte Niedersachsens Innenminister am Dienstag in Hannover. Es sei „schlicht ärgerlich, dass es seit einigen Jahren hier eine klare Blockade gibt“. Die Blockierer sitzen für ihn bei der SPD, die sich gegen eine Verschärfung wehrt: SPD-Chef Kurt Beck hatte der Union vorgeworfen, mit dem Thema rechte Wählerstimmen fischen zu wollen. In Niedersachsen finden wie in Hessen am 27. Januar Landtagswahlen statt, am 24. Februar folgt Hamburg.

Warnschussarrest, längere Höchststrafen für Jugendliche, Erwachsenenstrafrecht für Heranwachsende, Führerscheinentzug für gewalttätige Jugendliche – das habe Niedersachsen schon 2003 mit anderen Ländern in einer Bundesratsinitiative gefordert, sagte Schünemann. Und legte noch eins drauf: Ausländische Straftäter sollten Haftstrafen vermehrt in ihrem Heimatland absitzen und ausgewiesen werden können, forderte er. Das ist zwar seit vergangenem Jahr möglich. Aber ausgerechnet die Türkei und Russland hätten die Vereinbarung noch nicht unterzeichnet, ärgerte sich Schünemann.

Gleichzeitig legte er Zahlen vor, die eine Zunahme von Jugendgewalt belegen: Gab es 2003 bei „Rohheitsdelikten“ in Niedersachsen noch 10.300 minderjährige Tatverdächtige, stieg deren Zahl 2007 auf 12.600 an. Im gleichen Zeitraum sank der Anteil Nichtdeutscher an den Delikten jedoch von 21 auf 15,8 Prozent. „Der Anteil ist immer noch viel zu hoch“, sagte Schünemann. Außerdem verwies er auf Integrationsmaßnahmen und Aktionen des Landes gegen Jugendkriminalität.

„Schärfere Gesetze bringen gar nichts, außer Schlagzeilen“, entgegnete der Rechtsexperte der niedersächsischen Grünen, Ralf Briese. FDP-Fraktionschef Philipp Rösler forderte mehr Personal bei Polizei und Justiz, damit Vergehen von Jugendlichen besser verfolgt werden könnten. Seine Partei hatte den Verschärfungswünschen der CDU im Jugendstrafrecht einst zugestimmt.

Schünemanns Kollegin im Justizressort, Elisabeth Heister-Neumann (CDU), setzte in der Debatte dagegen neue Akzente. Bei einem Besuch im Göttinger Offenen Jugendvollzug sprach sie sich dafür aus, ein Projekt zur vorzeitigen begleiteten Entlassung von jugendlichen Straftätern auszubauen. Dabei werden junge Gefangene vor Ende ihrer Haftzeit außerhalb der Anstalt untergebracht, damit sie leichter einen Job oder eine Ausbildung finden können. Eine erste Überprüfung vor zweieinhalb Jahren hatte ergeben, dass keiner der bis dahin 16 Teilnehmer binnen zwei Jahren erneut verurteilt worden war. Ein „gutes und erfolgreiches Projekt“, urteilte die Justizministerin.

Bis heute haben 111 männliche Jugendliche im Alter von 15 bis 23 Jahren teilgenommen. Die Jugendlichen werden vor Ablauf ihrer Haftzeit am künftigen Heimatort untergebracht und dort durch Betreuer aus dem Jugendvollzug begleitet. Im weiteren Verlauf werden Kontakte zu Behörden und Betrieben geknüpft. Das Vorhaben wurde 2005 mit dem Deutschen Förderpreis für Kriminalprävention ausgezeichnet.

Das Projekt mit dem Namen „Basis“ ist in der Abteilung Offener Jugendvollzug in Göttingen angesiedelt, der einzigen offenen Einrichtung in Niedersachsen für jugendliche und heranwachsende Männer, die erstmals eine Jugendstrafe verbüßen. Das Gelände der Jugendanstalt ist nicht von Mauern umschlossen, es gibt auch keine Fenstergitter. „Offener Jugendvollzug ist für mich auch ein Erziehungscamp“, sagte Heister-Neumann.

Auch in Hamburg war am Dienstag die Jugendkriminalität Thema im Innenausschuss der Bürgerschaft. Gut sechs Wochen vor der Wahl wurde heftig über ein vom CDU-Senat bereits im vergangenen November beschlossenes Handlungskonzept „gegen Jugendgewalt“ gestritten. Das 2,5-Millionen-Euro teure Maßnahmen-Paket setzt auf eine verstärkte Durchsetzung der Schulpflicht und weist Lehrer und Rektoren an, Gewaltstraftaten von Schülern anzuzeigen. Die GAL warf dem Senat vor, nur Symptome zu behandeln, nicht aber „die tieferen Ursachen von Jugendgewalt“ anzupacken. Die SPD kritisierte, die Maßnahmen würden „nicht den nötigen Effekt gegen Jugendgewalt haben“. Die CDU in Hamburg aber plant bereits, draufzusatteln. Ihre justizpolitische Sprecherin, Viviane Spethmann, forderte gestern eine einschneidende „Änderung des Jugendstrafrechts“.