„Die jüdische Kultur gehört hierher“

Kommende Woche eröffnet im Hamburg ein Café mit jüdischem Salon. Der wird Veranstaltungen zu Literatur, Psychologie und Musik anbieten. Und ist für die Initiatorin Sonia Simmenauer eine weitere Facette neuen jüdischen Lebens an alter Stätte

SONIA SIMMENAUER, 47, Mit-Initiatorin des Jüdischen Salons und ebenfalls im Grindelviertel ansässig, leitet seit 20 Jahren eine Hamburger Agentur für klassische Musik.

taz: Frau Simmenauer, laut Programm wollen Sie in Ihrem jüdischen Salon die Grundzüge der jüdischen Kultur vermitteln. Welche sind das?

Sonia Simmenauer: Die Toleranz und das Gespräch.

Sollen Ihre Veranstaltungen auch Widersprüche innerhalb der jüdischen Kultur offenbaren – etwa zwischen Konservativen und Liberalen?

Wir hoffen sehr, dass eine politische Diskussion entsteht. In welche Richtung die geht, wird sich zeigen. Das hängt ja auch von den Menschen ab, die kommen. Das werden hoffentlich die Richtigen sein.

Welche wären das?

Die nicht so konservativen. Wobei sich die Frage stellt, was man unter liberal und konservativ versteht. Wir wollen Werte pflegen, Diskussionen anregen, Dinge in Frage stellen. Ob das rechts oder links ist? Schwer zu sagen.

Weiteres Ziel des Salons ist die Achtung des Anderen in seiner Fremdartigkeit. Betrachten Sie das Jüdische als etwas Fremdes?

Nein. Mit Fremdheit meinen wir die vielen kleinen Fremdartigkeiten eines jeden, die es zu respektieren gilt.

Sie meinen also mit fremd nicht die jüdische Kultur.

Nein. Die jüdische Kultur gehört genauso zu Deutschland wie der Islam – einfach, weil wir als Juden hier leben. Weil ich diese Sprache spreche und hier Steuern zahle.

Wie definieren Sie den gewünschten jüdischem Bezug Ihrer Veranstaltungen?

Er stellt sich über ein jüdisches Thema her, über eine jüdische Person oder über jemanden, der sich mit einer jüdischen Frage befasst. Herr Ruzicka zum Beispiel wird über seine Vertonung von Texten Paul Celans referieren.

Wobei sich gerade Celan lange nicht als Jude empfand.

Ja. Auch diese Persönlichkeiten interessieren uns.

Aber wenn Sie auch jemanden wie Celan – und es gab ja noch stärker assimilierte Menschen, die durch die Nazis zu Juden wider Willen wurden – hineinnehmen: Dann bestimmen Sie durch Ihre Auswahl, wer jüdisch ist?

Nein. Denn Celan war ja de facto jüdisch. Aber wir werden natürlich niemanden ideologisch festlegen. Wir verstehen dieses Haus als einen jüdischen Ort mit vielen Facetten. Wir werden auch nach jüdischen Rezepten gefertigte Gerichte anbieten. Allerdings wollen wir keine Folklore, sondern einen offenen Ort schaffen, an dem das Wort wichtig ist.

Die Hamburger jüdische Gemeinschaft ist zersplittert. Wollen Sie die in Ihrem Salon einen?

Wir betrachten uns nicht als Missionare. Und wird sind keine Institution, sondern ein Ort, der offen und warm sein soll. An dem kontrovers und lustig geredet werden kann.

Worüber zum Beispiel?

Wir planen eine Reihe über Psychoanalyse und Judentum sowie über jiddische Musik.

Wird es auch um die Verarbeitung des Holocaust gehen?

Wenn sich ein Referent anbietet – gern. Uns ist aber wichtiger, in diesem Viertel, in dem einst viele Juden wohnten, nicht nur eine jüdische Erinnerung, sondern auch jüdisches Leben haben.

Sollen daran auch die jüdischen Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion teilhaben?

Sie können gern unseren Raum mieten und Veranstaltungen durchführen, wenn sie möchten – wie alle anderen. Aber unser Verein fühlt sich nicht dafür verantwortlich, bestimmte Gruppen zu integrieren.

Ihr Vorab-Programm zitiert Vilém Flussers These, Jude sein sei unverständlich. Wie definieren Sie es?

Das frage ich mich auch oft. Ich spüre es, kann es aber schwer beschreiben.

Wann spüren Sie es?

Wenn ich durch den Grindelhof gehe, die Talmud-Tora-Schule und die Stolpersteine sehe, werde ich emotional.

Empfinden Sie Stolz?

Nein. Eher die Freude darüber, dass das Jüdische aus diesem Viertel nicht ganz verschwunden ist.

INTERVIEW: PETRA SCHELLEN

Das „Café Leonar“ eröffnet am 15. Januar im Grindelhof in Hamburg. Internet: www.cafeleonar.de