Die Falschen sind auf dem Rückzug

Zardoz in Hamburg-Ottensen schließt. Ein Platten- und Buchladen weniger, könnte man sagen. Aber mit Zardoz verschwindet einer der wenigen Orte für die Nicht-Begüterten und was bleibt, ist die Schicki-Ödnis eines aufstrebenden Hamburger Stadtteils. Ein Nachruf

Die Frau vom Stadtteilarchiv sagt, bei Zardoz seien wohl diejenigen, die früher einmal etwas in Ottensen bewegt haben

von FRIEDERIKE GRÄFF

Dass Zardoz in der Großen Brunnenstraße schließt, habe ich zufällig erfahren. Eine der Kellnerinnen sagte es einem Kunden, und dass es noch in diesem Monat sein werde. Zardoz schließt, dachte ich, dann kann ich ja auch gehen. Es ist sonderbar, wie viel Orte ausmachen, man könnte ja annehmen, dass es auf die Freunde ankäme, die Stelle oder die Entfernung zum nächsten Kino. Aber das stimmt nicht.

Zardoz ist ein Platten- und Buchladen in Hamburg-Ottensen, der zugleich ein Café ist und vor allem ein Ort, an dem man sich bleiben lassen kann, wenn man denkt, dass wenig Anlass zu Hoffnung besteht und dann wird die Auswahl möglicher Orte ziemlich übersichtlich. Das könnte man als Privatangelegenheit abhandeln, wenn Zardoz’ Ende nicht auch für den Rückzug stünde von etwas, das man im weitesten Sinn Alternativkultur nennen könnte, in Ermanglung eines besseren Wortes. Die Leute von Zardoz würden sich nie so nennen und das ist eine ihrer angenehmen Eigenschaften. Jetzt verschwinden sie aus Ottensen und vermutlich wird der Hundertste Schuhladen einziehen oder eines dieser Kosmetikgeschäfte, in denen man sich frisch zusammengerührte Ananas-Avocadocreme für 16 Euro pro Dose kaufen kann, wenn man will. In Ottensen will man das.

Wer Ottensen nicht kennt, muss sich nur den Prenzlauer Berg vorstellen, Ottensen ist so ähnlich, nur auf weniger Straßen verteilt, aber die gleiche Klientel: Doppelverdienende Medienschaffende, die ihren frühkindlich geförderten Säugling in einem 900 Euro Kinderwagen an den Feinkostläden entlangkarren und viel Zeit in Cafés verbringen, was ihr gutes Recht ist, aber das Schönste an Zardoz ist, dass sie dort nicht zu finden sind.

Wenn man im Ottenser Stadtteilarchiv anruft und fragt,was eigentlich mit diesem Stadtteil los ist, dann sagt die freundliche Dame, dass all das nicht das Ende der Fahnenstange sei und dass die Mieten, die sich in den letzten zehn Jahren wohl verdoppelt hätten, wohl weiter steigen würden. „Es ist irgendwie bedenklich, wenn nur noch junge Leute hierher ziehen, deren Eltern genügend Geld haben, um eine Eigentumswohnung zu bezahlen“, sagt sie. Sie hätte dazusagen können, dass diese Leute den Eindruck vermitteln, sie hielten die finanzielle Potenz ihrer Eltern für ihr Menschenrecht und, schlimmer noch, sie hielten ihre Properkeit für einen charakterlichen Vorzug. „Vielleicht funktioniert das Konzept, gebrauchte CDs und Bücher zu verkaufen, auch nicht mehr“, sagt die Frau vom Stadtteilarchiv.

Man glaubt sofort, dass die Properen keine gebrauchten CDs und Bücher kaufen, aber es gibt ja die anderen, diejenigen, die man eigentlich nur noch bei Zardoz sehen kann. „Dort sind wohl diejenigen, die früher einmal etwas in Ottensen bewegt haben“, hat die Stadtteilarchiv-Frau gesagt. Männer in Parkas und ältere Frauen in Jeans und Windjacken, die einfach aussehen wie ältere Frauen und nicht wie die 40-Jährigen mit den Kalbslederstiefeln, die auch ihre 7-jährigen Töchter tragen. Es gibt einen Mann mit Bart und Lederjacke, der aus dem Nahen Osten zu kommen scheint und immer politische Diskussionen anzettelt, die niemand führen will. Aber die Kellnerinnen oder die Männer hinter der Musik- und Büchertheke sagen zwei, drei freundliche Sätze und dann ist es auch gut. Es gibt einen blinden Mann, der immer direkt an der Musikanlage steht und lange auf den Musikmenschen einredet. Die Menschen, die bei Zardoz arbeiten, sind sehr unterschiedlich, aber freundlich sind sie alle und sie scheinen eine unerschöpfliche Geduld zu haben.

Die Kellnerinnen tragen eher Schwarz und sind gepierct, sie meckern an der Musik herum, die die Musikmänner auflegen und sie haben etwas erstaunlich Mütterliches, obwohl sie jünger sind als man selbst. Eigentlich trifft Kellnerin die Sache nicht richtig, sie haben wenig Dienstleistungsartiges an sich, es sind eher Barfrauen, nur dass sie Kaffee ausschenken. Eine von ihnen sagte einmal: „Jetzt geht die Sonne doch noch auf“, als ich kam und ich war so verlegen, dass ich gar nichts sagte.

Es scheint so, als habe bei Zardoz niemand besonders viel Geld, weder die Mitarbeiter noch die Kunden und vielleicht ist das der Grund für ihr Zartgefühl in finanziellen Angelegenheiten. Wenn ich gar kein Geld mehr habe, betrachte ich meine Bücher und schleppe ein paar von ihnen dorthin, weil es der einzige Ort ist, an dem man direkt Bargeld bekommt, seitdem selbst der Blutspendedienst nur noch mit einem Imbiss dankt. Natürlich weiß ich es nicht sicher, aber ich glaube, dass der Zardoz-Büchermann sozusagen aus Prinzip immer ein paar der Bücher nimmt und er hat nie etwas dazu gesagt, dass ich manchmal auch die bei ihm gekauften zurückbringe und immer vergesse, den Preis vorne auszuradieren. Manchmal gehe ich auch zu den Secondhand-Läden in Ottensen, aber denen ist dieses Zartgefühl vollständig fremd, sie sehen die Sachen an, als brächte man ihnen Schweine-Innereien und sagen, dass sie gerade nichts brauchen.

Der Mitinhaber von Zardoz sagt, dass man manches am Betrieb hätte optimieren können, aber er klingt nicht so, als meine er das Zartgefühl. Er sagt, dass man den Café-Betrieb hätte ausbauen können. Und dass er glaubt, dass das Secondhand-Prinzip funktionieren könnte, nur nicht in einem Laden, dessen Miete an die Lebenshaltungskosten gekoppelt ist. „Musik als Tonträger geht nicht mehr so gut“, sagt er, „und die Kaufkraft geht zurück.“ Vermutlich geht die Kaufkraft der Zardoz-Kundschaft anders zurück als die der übrigen Ottenser, sonst ist nicht zu erklären, warum hier immer neue Cafés eröffnen, die Törtchen verkaufen, die zweifellos gut sind, Orangenschaum an Bitterschokolade und solcher Kram, der drei Euro kostet. Bei Zardoz hat man die Wahl zwischen einem kleinen und einem großen Kuchenstück, der Kuchen ist gut, aber mit Orangenschaum hat er nichts zu schaffen.

Es hat Zardoz zehn Jahre lang gegeben und nun schließen sie in zwei Wochen. Es gebe ja noch den Laden in der Schanze sagt einer der beiden Zardoz-Teilhaber. Und dass er möglicherweise wieder etwas in Ottensen sucht. Und dass er Familie hat. Die Barfrauen haben ein Schild aufgehängt: „Schön wars! Wir sagen Tschüss & werden euch vermissen“, steht darauf und drum herum haben sie eine Tüllschleife gebunden. Sie wollen einen neuen Laden eröffnen, aber man weiß nicht, was daraus wird. Auf jeden Fall haben sie ein kleines Buch, in das man seine E-Mail-Adresse eintragen kann, falls es etwas werden sollte. Erst einmal sind sie arbeitslos.