piwik no script img

ausgehen und rumstehenFröhlicher Single oder Heiratsschwindler?

Herrje, Kinder, ist das himmlisch! Solcherart nostalgische Bemerkungen rannen am letzten Wochenende aus mir, als wär ich Edda Seipel. Das lag bestimmt am bahnbrechenden Wochenendbeginn, bei dem ich zufällig einen Film sehen durfte, den Freunde vor kurzem in Las Vegas gedreht hatten, und zwar auf Super 8.

Und wie es der geschickte Kameramann wollte, sah man in diesem vergnüglichen Stummfilmstreifen immer nur die sixtiesverrückten, von Kopf bis Fuß wie aus dem Retro-Ei gepellten HauptdarstellerInnen durch Dean-Martin-Sammy-Davis-Jr.-artige Hotelschluchten bummeln, die ganzen übergewichtigen, in Sweatshirts und Shorts gewandeten Tracking-Sandalen-Amis hingegen sah man nicht. Beeindruckend! Wenn irgendwo Elvis oder wenigstens ein extrem junger Peter Scholl-Latour (auf der investigativen Durchreise von Abidjan nach Moskau) um die Ecke geguckt hätten, es hätte mich nicht im Geringsten gewundert.

Später saß ich in Kellerclubs, und musste einem schweigenden Pärchen aushelfen, das unbedingt ein Handyfoto von sich – als Erinnerung an diesen langweiligen Abend? – machen lassen wollte. Als ich mit meinen dicken, zittrigen Fingern den filigranen Auslöser des Highend-Geräts suchte, kam ich zufällig auf einen anderen Knopf und es öffnete sich das Fotoalbum des schlimm zopftragenden Besitzers.

Und ich bin mir nicht mehr hundertprozentig sicher, aber ich meine, mindestens sieben weitere Bilder in ähnlichen Situationen, doch mit anderen Damen gesehen zu haben. Was mich ins Grübeln stürzte: Speeddater oder Serienkiller? Fröhlicher Single oder Heiratsschwindler? Was soll’s, dachte ich, temptation takes no vacation, wie ein ebenfalls extrem sprücheklopffester Bekannter stets zu kommentieren pflegt, und zwar mit lupenreinem und sympathischem badischem Akzent.

Den Samstagabend verbrachte ich wiederum mit dem altmodischen Motto: Wozu in die Ferne schweifen, schließlich werden mir neuerdings die Kneipen bis fast an mein Arbeitszimmerfenster gebaut. Schräg gegenüber der Ankerklause hat eine namens „Fuchsbau“ aufgemacht, von der man zwar irgendwie noch nicht sagen kann, wie sie ist, weil es – außer einem etwas verwirrendem Logo, auf dem ein Fuchsschwanz an einer Art Wolke hängt, aus der ein Fernglas guckt, was meines Erachtens eher auf Furry-Voyeure hinweist – nicht viel zu beschreiben gibt: Sie hat Fenster und Barhocker, im Hintergrund läuft Musik, die Wände sind glatt und die Besucher gutgelaunt, aber stören tut so etwas natürlich auch nicht, im Gegenteil.

Bier floss, man redete – angeregt durch meine zugegeben immer noch retrolastige Stimmung – über die langen, überflüssigen und enervierenden Anrufbeantwortersprüche, die man sich weiland, witzig wie man sich fand, immer auf die Geräte gebastelt hat: Was hab ich mir damals Mühe gegeben, hab gesungen, gereimt, Sermone abgelassen, mir Geschichten ausgedacht, ganz bestimmte Teile von Stücken aufgenommen, und was nervt mich das heute, wenn jemand mehr als „Bitte Nachricht hinterlassen“ drauf hat. Aber wenn das man mit der nächsten Retrowelle nicht zurückkommt! Sofort auf die Innovationsliste: Typische 90er-Jahre-Anrufbeantworter-Sprüche-CD herausbringen, bevor es jemand anderes tut. Schlüsselspruch: Das dämliche „Hallo? (Pause) Ach, ich bin ja doch nicht da“. Dazu unbedingt Aufkleber mit „I-Phone-kompatibel!“. Oder am besten gleich die Domain www.90er-Jahre-Anrufbeantwortersprüche.de sichern.

Plötzlich war es jedenfalls sauspät, ich hatte Glas um Glas leergetrunken und rollte gluckernd nach Hause, um die letzte nostalgische Bemerkung des Wochenendes im Kopf hin und her zu drehen: Es war ein köstlicher Abend!

Schnell noch einen Toast Hawaii, dann die Schlafmütze auf und ab ins Etagenbett. Und morgen wieder: Modernisation takes no vacation. JENNI ZYLKA

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen