„Das Gymnasium wird zur Massenschule“

GEW-Studie: Bremisches Schulsystem unterstützt soziale Spaltung der Stadt. Warnung vor französischen Verhältnissen

HARRY EISENACH ist Lehrer an der Integrierten Stadtteilschule Hermannsburg und Sprecher des Stadtverbands Bremen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft

taz: Das bremische Schulsystem driftet auseinander, sagt eine aktuelle Studie der GEW. Gibt es irgendwann nur noch Sonderschulen und Gymnasien?

Harry Eisenach: Das ist natürlich überspitzt. Aber der Anteil der Gymnasien steigt immer stärker an, er liegt jetzt schon bei über 50 Prozent. Wenn sich der Trend fortsetzt, wäre es nicht erstaunlich, wenn er in ein paar Jahren bei 70 Prozent liegt. Das Gymnasium wird zur Massenschule.

Ist das schlecht?

Nein. Ich will auch keinem Elternteil einen Vorwurf machen. Es ist aber so, dass dann ein Rest an SchülerInnen bleibt, der es immer schwerer haben wird. Gewisse Stadtteile tendieren in eine Richtung, die wir aus den Vorstädten von Paris kennen. Das ist schulpolitisch und gesellschaftlich problematisch. Die Menschen dort haben dann keine Hoffnung und wenig Chancen.

Entstehen in Tenever und Gröpelingen Ghettoschulen?

Soweit würde ich nicht gehen. Aber die Bildungspolitik kann nicht das korrigieren, was städtebaulich falsch läuft. Im Augenblick gibt es die Tendenz, dass aus den Stadtteilen mit einem hohen Anteil von MigrantInnen und Arbeitslosen sehr viele SchülerInnen weggehen. Das kann man gut verstehen, macht die Arbeit dort aber umso schwerer, wenn die Leistungsstärksten und Mobilsten fehlen. In den privaten Gymnasien liegt der Ausländeranteil bei zwei Prozent – sehr niedrig gegenüber einem Durchschnitt von 17 Prozent. Auch Migrantenkinder sind in Privatschulen praktisch nicht vertreten.

Heute besucht jeder zehnte Fünftklässler eine Privatschule.

Diesem Trend kann man nur dadurch begegnen, dass die öffentlichen Schulen besser werden. Das hat auch etwas mit der Finanzierung des öffentlichen Schulwesens zu tun, aber auch mit neuen Ideen. Viele reformerische Bestrebungen erfordern aber nicht nur Fortbildung, sondern eine erheblich bessere Ausstattung mit pädagogischem Personal. Mit Klassenstärken von 30 SchülerInnen und mehr lässt sich das nur schwer umsetzen.

Wie kann man der Spaltung begegnen?

Das Gymnasium darf nicht ungezügelt weiter ausgebaut werden. Im Moment zieht alles, was leistungsstärker ist, wieder in Richtung Innenstadt, genauso wie vor den siebziger Jahren. Diesen Trend darf man nicht durch weiteren Ausbau forcieren. Die Stadtteile müssen gestärkt werden, auch durch verbesserte Angebote dort. In sozial schwierigen Gebieten reicht es nicht aus, die nur ein bisschen besser zu versorgen als den Durchschnitt. Wenn man dieses Geld nicht ausgibt, wird das gesellschaftlich sehr teuer werden und birgt viel Sprengstoff. Das sieht man ja in Frankreich. Fragen: Jan Zier