„Fluch und Segen zugleich“

Das traditionsreiche Bremer Weser-Stadion wird ab Ende Januar auf 50.000 Plätze ausgebaut. Der Soziologe Harald Klingebiel hat sich mit dem Stadion befasst und erwartet eine Verbesserung der Atmosphäre – das Verhältnis zwischen Logen- und Normalplätzen müsse dabei ausbalanciert werden

HARALD KLINGEBIEL, Jahrgang 1951, ist Werder-Anhänger, Soziologe und Autor. Er veröffentlichte unter anderem das Buch „Mythos Weser-Stadion“

Interview KLAUS IRLER

taz: Herr Klingebiel, Sie haben Ihrem Buch über die Entwicklung des Weser-Stadions den Titel „Mythos Weser-Stadion“ gegeben. Worin besteht dieser Mythos?

Harald Klingebiel: Zum einen darin, dass das Weser-Stadion anders als viele andere Event-Tempel eingebunden ist in das städtische Leben des Stadtteils Östliche Vorstadt. Außerdem ist „Mythos“ gemeint im Sinne von Seele-Haben: Das Stadion ist immer auf der Grundlage seiner historischen Bausubstanz über die Jahre verändert und modernisiert worden und hat – wie eine Persönlichkeit bei einem Menschen – Ecken und Kanten.

Was wird nun ab Ende Januar im Weser-Stadion passieren?

Ich kann hier nur auf die Bremer Medien zurückgreifen. Das Stadion wird erweitert auf 50.000 Zuschauer, indem ein dritter Rang auf die beiden bestehenden draufgebaut wird. In diesem Zusammenhang wird das Dach durch ein neues ersetzt werden. In dem neuen Dach wird zugleich die Flutlichtanlage integriert sein und damit werden auch die alten Flutlichtmasten wegfallen.

Wird das die Atmosphäre im Stadion verändern?

Zunächst ist jede Vergrößerung stimmungsfördernd. Außerdem wird die Dachkonstruktion eine andere sein und damit wird sich der Schallraum vergrößern. Es ist eine offene Frage, ob sich auch das stimmungsfördernd auswirken wird. Ich glaube: ja.

Mehr Dach im Stadion, das klingt, als würde sich das Weser-Stadion atmosphärisch in Richtung der HSH Nordbank Arena in Hamburg entwickeln.

Schwierig zu sagen. Wie die Atmosphäre in einem Stadion ist, hängt auch damit zusammen, wie weit die Fankurve vom Spielfeld entfernt ist. Dieser Abstand wird beim bevorstehenden Bauabschnitt nach Werders Planung im Weser-Stadion beispielsweise nicht verändert.

In Ihrem Buch zitieren Sie Goethe, der sagt, im Amphitheater ginge es darum, „dem Volk mit sich selbst zu imponieren“. Ist das noch möglich, wenn es immer mehr Logenplätze gibt in den Stadien?

Ich glaube: ja. Die Verantwortlichen müssen eine Balance im Auge behalten im Verhältnis zwischen den teuren und den normalpreisigen Sitzen. Und sie müssen die Einnahmenotwendigkeit intensiv unter allen Beteiligten kommunizieren. Dann werden Logen weiterhin Akzeptanz finden.

Ist Werder Bremen nicht ein Verein, bei dem das Verhältnis zwischen Logen- und Normalplätzen ein anderes sein könnte als etwa beim FC Bayern?

Nein, das kann man so nicht sagen. Die Vereine arbeiten alle nach den gleichen Gesetzmäßigkeiten im Kapitalismus. Aus meiner Sicht als Soziologe geht es darum, dass man bei allen städtischen Modernisierungen die Anwohnerschaft und die Betreiber einbeziehen muss. Solche Baumaßnahmen treffen immer auf unterschiedliche Interessenlagen und die muss man dann ausgleichen. Die Akzeptanz wird sonst schwinden.

Wo steht das Weser-Stadion nach seinem Ausbau im Vergleich mit den anderen Bundesliga-Stadien?

Das Weser-Stadion wird ab Ende Januar während des laufenden Spielbetriebs erweitert. Durch den Bau eines dritten Rangs sollen rund 8.000 Plätze hinzugewonnen werden, so dass die Kapazität des Stadions bis zum Frühjahr 2009 von rund 43.000 Plätzen auf gut 50.000 Plätze steigt. Die anvisierten Kosten liegen bei rund 60 Millionen Euro. Staatliche Zuschüsse gibt es – anders als bei früheren Umbaumaßnahmen wie beispielsweise bei der Tieferlegung des Spielfelds 2001 – nicht.

Seit der Meistersaison 2003/2004 ist das Weser-Stadion bei Heimspielen der Profis meistens ausverkauft. „Wir verschenken bei jedem Heimspiel unglaublich viel Geld“, sagt Werder-Geschäftsführungsmitglied Klaus-Dieter Fischer. Auch Clubchef Jürgen L. Born sieht die Chance zu einer deutlichen Einnahmesteigerung: „Wir werden eine größere Zahl an teureren Plätzen schaffen, da ist noch ein enormes Potential“, sagt er. Für die VIP-Bereiche gibt es lange Wartelisten. Die Preise für Stehplätze sollen aber ungefähr gleich bleiben.

Im Zuge der Umbauten wird das Stadion auch ein größeres Stadiondach, eine neue Außenfassade und eine Photovoltaik-Anlage bekommen. Die Ausbau-Pläne führten zu Konflikten mit den AnwohnerInnen – diese fürchten das erhöhte Verkehrsaufkommen, den Lärm der Baustelle und ein verschandeltes Stadtbild durch ein 40 Meter hohes Stadion. Im November 2007 stimmte der Beirat Östliche Vorstadt dem Vorhaben trotzdem zu. Verzichtet werden soll nun allerdings auf die Glasfassade und die Solaranlage an der Frontseite der Ostkurve. Auch die Namensrechte hat Werder nicht verkauft, was den Bedürfnissen der Fans entgegen kam.

Hinsichtlich seiner Kapazitäten bleibt das Weser-Stadion auch nach dem Ausbau im Bundesliga-Vergleich hinter den Stadien der unmittelbaren Konkurrenz zurück: Die Allianz-Arena des FC Bayern hat insgesamt 69.000 Plätze, die Hamburger HSH-Nordbank-Arena 57.000 und die Veltins-Arena auf Schalke knapp 61.500 Plätze.

Für die Bremer dagegen gilt: Bei 50.000 Plätzen ist Schluss. „Es ist aus baurechtlichen Gründen kein weiterer Ausbau mehr möglich“, sagt Clubchef Jürgen L. Born. KLI

Durch die WM 2006 und den Boom der Stadionneubauten und Modernisierungen ist das Weser-Stadion weit nach hinten durchgereicht worden. Das ist einer der Anlässe, weswegen man jetzt noch mal neu baut: Weil man sagt, man ist sportlich in der Spitzengruppe, aber stadiontechnisch nicht. Für Werder geht es darum, den Anschluss an die Top-Klubs nicht zu verlieren.

Trotzdem scheint es ein spezielles Verhältnis zur Tradition zu geben in Bremen: Das Weser-Stadion heißt immer noch Weser-Stadion – und nicht etwa Kellogg‘s-Arena.

In Bremen gibt es schon ein spezielles Verhältnis zu diesem Stadion. Die Politik, die Einwohnerschaft aber auch Werder selbst wissen, dass das Stadion Fluch und Segen zugleich ist: Ein Stadion mit direkter Stadtanbindung führt zu anderen Problemen als ein Stadion auf der grünen Wiese in der Nähe eines Autobahnkreuzes.

Welche Rolle spielt dabei Bremens Status als Stadtstaat mit engen Landesgrenzen?

Bremen hat spezifische Probleme. Es liegt im strukturschwachen Nordwesten und ringt als Stadtstaat um seine Zukunft. Da muss man Vieles in die Waagschale werfen. Und versuchen, bei so etwas wie einem Stadionausbau zu einer vielschichtigen Konsensbildung zu kommen.