Und wieder gibt es Kohl

Gerade noch rechtzeitig findet die Stadt Oldenburg jemanden, der beim „Deftig Ollnborger Gröönkohl-Äten“ in Berlin den Kohlkönig proklamiert. Zuvor hatte Oldenburgs Bürgermeister Schwandner Ex-Bundeslandwirtschaftsminister Funke verscheucht

Kurzzeitig ist eine alte bundesrepublikanische Tradition, bei der es um viel Schnaps, jede Menge fette Pinkel- und Kochwurst, vor allem aber um deftigen Grünkohl geht, ins Schlingern geraten, ein schweres Schicksal konnte aber abgewendet werden. Wie eh und je – mit den Ausnahmen 1962 wegen der Hochwasserkatastrophe und 1991 wegen des Golfkrieges – wird am 18. Februar das „Deftig Ollnborger Gröönkohl-Äten“ auch in diesem Jahr in der Bundeshauptstadt stattfinden und dort daran erinnern, dass es eine Stadt namens Oldenburg gibt. Die erkauft sich diesen kurzfristigen Zuwachs an Bekanntheit durch Hunderte Kilo der heimischen Spezialitäten und darf sich freuen, mal wieder im Fokus der großen Politik zu stehen.

Theodor Heuss hatte seinerzeit als Bundespräsident die Oldenburger dazu gedrängt, ein solches Gelage in Bonn abzuhalten. Wenn sie was wollten, dann sollten sie kommen, soll er gesagt haben. Seitdem findet das „Gröönkohl-Äten“ statt und bringt alle, die wichtig sind, parteiübergreifend zum Futtern und Trinken zusammen. Und jedes Jahr wird einer der Anwesenden zum Kohlkönig ernannt.

Aber warum war das große Fressen im Februar gefährdet? Nun, es lag an Oldenburgs Stadtoberhaupt Gerd Schwandner, der als von der CDU nominierter Parteiloser seit gut einem Jahr im Amt ist, und dem Kohlessen einen neuen Akzent geben wollte. Schwandner tritt gerne weltläufig auf, schon allein deshalb muss ihm eine der wichtigsten Gestalten rund ums Kohl-Essen gestört haben: Bundeslandwirtschaftsminister a.D. Karl-Heinz Funke, ein aus dem Oldenburgischen stammendes Urgestein, mit derbem Mutterwitz gesegnet, oft unterhalb der Gürtellinie schwadronierend. Der proklamierte seit 1995 als Vorsitzender des Kurfürsten-Kollegiums alljährlich den Kohlkönig und schien wie gemacht für ein Gelage wie dieses.

Das wollte Schwandner nicht mehr, deshalb schrieb er Funke einen Brief und kündigte ihm. Funke solle das nicht als Kritik an seiner Person verstehen, schrieb Schwandner, viel mehr habe er sich zu diesem Schritt entschlossen, „damit die Zukunftsfähigkeit unserer Traditionsveranstaltung sichergestellt wird“. Manch einer fand das grundsätzlich gut, rümpfte aber über Schwandners Vorgehen die Nase, denn der hatte nie vorher mit Funke darüber geredet, der Brief kam für den Kurfürsten-Chef überraschend, was ihn nach eigener Aussage „sehr enttäuscht“ hat. Schwandner dagegen präsentierte schon bald den FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle als Funkes Nachfolger, was Kenner des Oberbürgermeisters vermuten ließ, endlich sei der Ex-Grüne Schwandner den Liberalen so nahe, wie er sich ihnen schon lange fühle. Als Westerwelle erfuhr, wie Schwandner Funke aus dem Amt gekickt hatte, zog er die Zusage zurück. „Hätte ich davon gewusst, hätte ich das Angebot gleich abgelehnt“, faxte er nach Oldenburg. Schwandner war düpiert, und es blieb nicht mehr viel Zeit, einen Nachnachfolger für Funke auf den Kurfürstenstuhl zu loben. Der ist nun gefunden, stammt aus der Region, verleiht dem Polittreff Showcharakter und ist – zum ersten Mal in der von Männern dominierten Kohlwelt – eine Frau: Ina Müller, immer leicht überdrehte Blondine, die wie Funke vom Bauernhof stammt und zuletzt für den NDR Single-Landwirte unter die Haube brachte. Schwandner nennt sie jetzt seine Wunschkandidatin und findet es ganz prima, dass mit Müller das Kohlessen nun doch mit ordnungsgemäßer Krönung stattfinden kann. FELIX ZIMMERMANN