Aufschwung ohne arme Viertel

Die GAL-Fraktion hat die Lebenslagen in den einzelnen Stadtteilen untersucht und festgestellt: mindestens 18 Viertel sind sozial abgehängt. Die Grünen fordern ein 100-Millionen-Programm

Der konjunkturelle Aufschwung Hamburgs hat die sozialen Probleme der Stadt nicht abgemildert, im Gegenteil: Die Spaltung zwischen arm und reich hat sich weiter verschärft. Das hat die GAL-Fraktion gestern bilanziert. Sie hat einen Sozialatlas der Stadt erarbeitet und dabei festgestellt: Mindestens 18 Stadtteile drohen von der Reststadt „abgehängt“ zu werden. Trotz verbesserter wirtschaftlicher Rahmenbedingungen wächst ihr Abstand zum Hamburger Durchschnitt bei Arbeitslosigkeit und der Quote der Hartz IV-Empfänger weiter an. „Hamburg lässt sich unterteilen in eine 1. und eine 3. Stadt“, resümierte Gudrun Köhncke, arbeitsmarktpolitische Sprecherin, in Anlehnung an das globalisierungskritische Vokabular.

Um sich ein Bild der sozialen Lagen in der Stadt zu machen können, hat die GAL die 104 Stadtteile anhand von 24 Parametern bewertet. Zwölf dieser Parameter wurden für das Ranking schließlich herangezogen. Darunter sind mehrere Kriterien, die speziell Kinder betreffen, Bildungsangebote beispielsweise. Denn den Grünen war es vor allem wichtig, einen Überblick über die Lebenslagen von Kindern zu bekommen. Die Armut der abgehängten Stadtteile, so der stadtentwicklungspolitische Sprecher Claudius Lieven, „ist die Armut der Kinder“.

Im Ergebnis hat die Fraktion festgestellt, dass mindestens 18 Stadtteile in einer „kritischen sozialen Lage“ sind. Das sind Altona-Altstadt, Allermöhe, Billstedt, Dulsberg, Hamm-Süd, Harburg, Hausbruch, Horn, Jenfeld, Lohbrügge, Lurup, Neugraben-Fischbek, Osdorf, Rothenburgsort, Steilshoop, St. Pauli, Veddel und Wilhelmsburg. In diesen Vierteln leben 27 Prozent der Hamburger Bevölkerung, aber mehr als die Hälfte aller Kinder, die von Leistungen nach Hartz IV abhängig sind. Die Arbeitslosigkeit in diesen Stadtteilen liegt 64 Prozent über dem Hamburger Durchschnitt, die Quote der Schulabbrecher sogar 84 Prozent über dem Mittelmaß. 45,8 Prozent aller Kinder mit besonderem Sprachförderbedarf wohnen in einem dieser Stadtteile. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt um 54 Prozent über dem Hamburger Durchschnitt.

Die GAL hat angemahnt, gezielt in diese Stadtteile zu investieren. Das Senatskonzept der „lebenswerten Stadt“ reiche bei weitem nicht aus, so der stadtentwicklungspolitische Sprecher Claudius Lieven. Das sei nur auf sechs Stadteile ausgerichtet.

Die GAL hat dem ein eigenes Konzept entgegengestellt. „Viertel Vor“ sieht insbesondere arbeitsmarktpolitische Maßnahmen in den benannten 18 Stadtteilen vor. 100 Millionen Euro sollten nach den Plänen der Grünen jährlich in die soziale Stadtteilentwicklung investiert werden. Dass sich in 18 Vierteln mehr als die Hälfte der 55.000 Kinder aus armen Familien konzentrieren, sei „Folge einer verfestigten Arbeitslosigkeit und von Löhnen, die nicht aus der Armut herausführen“. Deshalb sei es falsch, dass der Senat in diesen Stadtteilen nicht gezielt Beschäftigung fördere, so Köhncke.

Beispiel Steilshoop: Hier ist der Anteil der Berufstätigen mit sozialversicherungspflichtigen Jobs sogar angestiegen: 32 Prozent der dort lebenden Erwerbsfähigen haben einen sozialversicherungspflichtigen Job, das entspricht dem Hamburger Schnitt. Und trotzdem nimmt die Quote derer kontinuierlich zu, die auf Transferleistungen nach Hartz IV angewiesen sind: Während es in ganz Hamburg 16,7 Prozent sind, leben in Steilshoop 33,6 Prozent der Menschen von Arbeitslosengeld I oder II. Der Grund: Viele der neuen Jobs sind so schlecht entlohnt, dass es zum Leben nicht reicht. Viele Stellen sind im Niedriglohnsektor oder ohnehin nur als Minijob angelegt.

An anderen Vierteln ging sogar dieser Trend vorbei: In Jenfeld beispielsweise haben nur 26 Prozent der Erwerbsfähigen einen sozialversicherungspflichtigen Job.