Akrobatik gegen AKWs

26-jährige Atomkraftgegnerin stoppt den Zug, der radioaktives Material von Gronau nach Rotterdam transportieren soll – aber nicht für immer

Atom-Kritiker: Fässer mit radioaktivem Material von Urenco rosten vor sich hin

AUS DORTMUND MORITZ SCHRÖDER

Zwei Bäume und ein Seil – mehr brauchte es nicht, um den ungeliebten Zug mit dem radioaktiven Material aufzuhalten. Schon 20 Minuten nachdem die 19 Waggons, voll mit abgereichertem Uranhexafluorid (UF6), die Urananreicherungsanlage im westfälischen Gronau am Mittwochabend verlassen hatten, standen sie still.

Sieben Meter über den Gleisen, nahe der Ortschaft Metelen im Münsterland, hatte sich eine französische Aktivistin bis auf sieben Meter über dem Boden abgeseilt. Damit wollte sie – zusammen mit rund einem Dutzend weiterer DemonstrantInnen auf dem Boden – gegen die Lieferung von 1.000 Tonnen hochgiftigem UF6 nach Russland protestieren. Etwa sechseinhalb Stunden lang musste der Zug halten.

Der Absender der UF6-Container heißt Urenco. Urenco ist einer der weltweit größten Uranlieferanten für die Atomindustrie. Neben der Anreicherungsanlage in Gronau betreibt der Konzern weitere Anlagen, unter anderem im niederländischen Almelo und dem englischen Capenhurst.

Die spektakuläre Blockade des jüngsten Transports ist ein – vorläufiger – Höhepunkt des Widerstands gegen das Unternehmen: „Eine solche Aktion gab es bei uns noch nie“, freut sich am Donnerstag Matthias Eickhoff, Sprecher einer Anti-Atom-Initiative aus Münster.

Trotzdem geht der Transport wie gewohnt weiter. Die deutschen UF6-Container werden nach dem Transport auf ein in Rotterdam längst bereitliegendes Schiff verladen. Dann soll das UF6 durch die Nord- und Ostsee ins russische St. Petersburg gebracht werden.

Zumindest dort könnte es zu weiteren Verzögerungen kommen. „Wir planen ebenfalls Proteste“, sagt Vladimir Slivyak, Aktivist der russischen Umweltinitiative Ecodefense. Die wehrt sich seit Jahren gegen die Lagerung des UF6 auf drei Geländen in Russland. Seit 2003 landen alle UF6-Container aus Deutschland in Nowouralsk, nahe Jekaterinburg.

Laut Urenco wird das stark abgereicherte Material, das beim Anreicherungsprozess in Gronau als Rest übrig bleibt, dort wieder für die Atomwirtschaft nutzbar gemacht. Allerdings ist es sehr aufwendig, UF6 wieder so aufzubereiten, dass es für Anlagen wie in Gronau wieder nutzbar wird.

So meint Matthias Eickhoff: „Es findet keine Wiederanreicherung statt.“ Stattdessen rosteten die Container mit insgesamt 24.000 Tonnen UF6, die Urenco bisher nach Russland verschickt habe, als radioaktiver Müll unter freiem Himmel in Fässern vor sich hin. Eickhoff: Das ist eine sehr günstige „Uranmüll-Deponie“ für Urenco.

Und die Menge nimmt weiter zu. Die Anti-Atom-Gruppen rechnen aufgrund von Informationen niederländischer Behörden in diesem Jahr mit bis zu sieben weiteren Lieferungen: Falls diese von Urenco nicht kommentierte Zahl stimmt, würde sich die Transportmenge gegenüber den Vorjahren fast verdoppeln.