Wie viele Kriegstote gibt es im Irak?

betr.: „151.000 Tote im Irak seit der US-Invasion“, taz vom 11. 1. 08

In Ihrem Bericht wird unter Bezug auf die aktuelle WHO-Studie erwähnt, dass diese zu wesentlich niedrigeren Zahlen von Toten kam als eine Studie von 2006, deren Methodik stark angezweifelt worden sei. Die Ergebnisse der WHO-Studie allerdings mit der Studie von 2006 gleichzusetzen heißt, Äpfeln mit Birnen zu vergleichen.

Die Studie von 2006 erschien im britischen Lancet, einer der angesehensten medizinischen Fachzeitschriften weltweit. Die Zahl der zivilen zusätzlichen Toten als Folge des Irakkrieges wurde darin mit ca. 655.000 (zwischen 392.979 und 942.636) angegeben, also um ein Vielfaches höher als in der WHO-Studie (151.000). Sie verglich anhand der Befragung von 1.849 Haushalten an 50 zufällig ausgewählten Orten die Todesraten im Irak von 5,5 pro 1.000 Einwohner vor der Invasion mit der auf 13,2 angestiegenen Rate nach der Invasion.

Die Differenz zur WHO-Studie ist im Wesentlichen dadurch begründet – und nicht, wie im Artikel suggeriert wird, wegen methodische Fehler –, dass in der Lancet-Studie nicht nur die Toten als Folge von Gewalteinwirkung gezählt wurden, sondern alle Gestorbenen, durch welche Todesursache auch immer. Der Unterschied in den Todesraten in den untersuchten Orten vor und nach Kriegsbeginn wurde auf die Gesamtbevölkerung des Irak hochgerechnet. Das entspricht 2,5 Prozent (!) der Bevölkerung an zusätzlichen Toten. Diese um mehr als zweifach höhere Sterblichkeit ist der zerstörten (medizinischen) Infrastruktur, mangelnder Versorgung, fehlenden Medikamenten, Verschlechterung der Lebensbedingungen etc. geschuldet, der die irakische Bevölkerung seit Kriegsbeginn ausgesetzt ist. Auch dies sind Folgen des Krieges!

Diese Studie wird also mitnichten durch die WHO-Studie relativiert. Nicht zuletzt wegen der „unbequemen Wahrheit“, die die Lancet-Studie offenbart hat, wurde sie wohl von interessierter Seite als „umstritten“ hingestellt. DIETER LEHMKUHL, Berlin