die taz vor zehn jahren über das verbot von erbakans islamisten-partei in der türkei
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Die Türkei ist nicht Algerien. In beiden Ländern führen repressive politische Regime einen Kampf gegen islamistische Bewegungen. Doch während in Algerien militärisch draufgeschlagen wird, beschäftigen sich in der Türkei Scharen von Militärexperten und Juristen damit, die richtige Dosierung der Repression zu erkunden.

Das gestrige Verbot der islamistischen Wohlfahrtspartei durch das Verfassungsgericht ist deshalb auch das Ergebnis langer Beratungen über das richtige Maß an Repression. Das herrschende Regime will die Islamisten nicht in den Untergrund drängen. Eine Bewegung, die bei den vergangenen Wahlen über ein Fünftel der Stimmen auf sich vereinigen konnte, zu kriminalisieren, erscheint nicht opportun. Schon heute ist klar, daß die Nachfolgepartei parlamentarisch eingebunden wird.

Zwei Botschaften bringt das Urteil mit sich: Die Islamisten dürfen auf absehbare Zeit nicht im Rahmen einer Koalitionsregierung an der Macht beteiligt werden. Sie bleiben die bösen Jungs. Und als Oppositionspartei müssen sie sich an striktere Regeln, die das Regime vorgibt, halten.

Erbakan hat die Botschaften verstanden. In seiner Pressekonferenz nach dem Verbotsurteil sprach er vom „Hohen Gericht, dessen Urteilen sich jede Institution beugen“ müsse. So sei es nun einmal in einem Rechtsstaat.

Erbakan rief zu Ruhe und Ordnung auf und warnte vor Provokateuren. Es ist nicht nur Angst, die Erbakan solche Worte sprechen läßt, sondern deckt sich auch mit seinem Politikkonzept. Erbakan wird weiter versuchen – und das wollen auch die Spitzen des Militärs –, im Rahmen des politischen Systems Politik zu betreiben.

In der sonderbaren politischen Geographie der Türkei gehen Verbote und staatliche Gängelung einher mit halbparlamentarischer und halbmilitärischer Integration.

Ömer Erzeren in der taz vom 17. 1. 1998