Die Geschichte vom durch zwei „ts“ bedrängten „o“

Sprachheimat Berlin: Im Literaturforum im Brecht-Haus wurde der Schriftssteller Giwi Margwelaschwili zu seinem 80. Geburtstag geehrt

Auf der Postkarte, die im Literaturforum im Brecht-Haus in der Chausseestraße auslag, sieht der Jubilar fast dämonisch aus. Die Hände scheinen ein textstoffliches Gebilde vor seinem Kopf zu umfassen, das man nicht sieht, weil es aus Gedanken besteht; aus Wörtern und Sätzen, die Giwi Margwelaschwili – Schriftssteller, Philosoph und Ontotextologe – vielleicht gerade sprach, als die Aufnahme entstand. Am 14. 12. war der Dichter 80 geworden. Letzten Freitag wurde er im Literaturforum in der Chausseestraße mit einer Veranstaltung geehrt.

Seine Lebensgeschichte ist wechselvoll: Nachdem die Sowjets 1925 in Georgien die Macht ergriffen, emigrierten seine Eltern nach Berlin. 1946 geriet er zusammen mit seinem Vater in die Fänge der stalinschen Geheimpolizei. Der Vater wurde erschossen; der Sohn kam für mehr als ein Jahr in das sowjetische Lager Sachsenhausen und wurde dann nach Georgien verschleppt. Dort studierte er Germanistik und arbeitete als Deutschlehrer. Seit 1993 lebt er wieder in Berlin und ist seit 1994 deutscher Staatsbürger. Zwischen 1991 und 1994 erschienen sechs Bücher. Sein Schreiben ist vom Gefühl des Nichtdazugehörens geprägt; in Georgien war er nicht nur als Dissident, sondern auch sprachlich fremd. Georgisch und Russisch verstehe er ja nur „mangelhaft“. Berlin ist ihm kein wirkliches Zuhause, sondern vor allem „Sprachheimatstadt“. „Dichterisch wohnet der Mensch“, heißt es bei Hölderlin; im echten Leben ist das nicht so einfach. „Dass ich nicht dazugehöre, hat sich nicht geändert.“ Wohl weil er nicht deutsch aussieht, gibt es manchmal Anfeindungen auf offener Straße; zuweilen werde auch sein Namensschild vom Postkasten seiner Weddinger Wohnung gerissen. „Keiner soll mir sagen, dass die Emigration einfach ist. Das ist ein schweres Los. Aber es gibt in Berlin auch viele, die verständnisvoll sind und mich unterstützen.“ Freunde, wie der Publizist und DDR-Dissident Ekkehard Maaß oder auch der umtriebige Literaturagent Axel Haase, der Margwelaschwili zum Verbrecher Verlag brachtet, wo 2007 sein letzter, vielleicht publikumsfreundlichster Roman „Officer Pembry“ erschien, der auf der Folie von Harris’ „Schweigen der Lämmer“ spielt.

Das Werk Margwelaschwilis zu charakterisieren fällt schwer. Wenn man es versucht, klingt es unlebendiger, als es in Wirklichkeit ist. Denn immer geht es um den Text, der den Menschen determiniert, die „ontotextuelle Verfasstheit“ des Menschen; die große Geschichte der Ideologien, die ihn formt und zermahlt, in die er flieht und aus der er flieht – und die kleine Geschichte, denn „im Privaten ist es ja ganz genauso. Da will die Frau zum Beispiel die Königin in der Geschichte des Mannes werden; sie will hinein; das ist das Beste, und rennt dahin. Und dann merkt die Frau auch hier – manchmal ist es so – eigentlich ist es immer so, dass die Geschichte nicht ganz so ist, wie sie erwartet hat, dass sie löcherig ist und stolperig. Um Gottes Willen, sie will weg – aber da ist es schon schwieriger. Verstehen Sie? – Es ist schwierig, sich von der Geschichte zu lösen.“

Giwi Margwelaschwili sah sehr elegant aus an diesem Abend. Der Veranstaltungsraum des Literaturforums war überfüllt; man saß so eng, dass man mit den Schultern an die seiner Nebenleute stieß. Ekkehard Maaß sprach in der Eingangsrede über den „schwarzen Raben“ des Unglücks und Pechs, der den Dichter immer verfolgt hatte. Giwi Margwelaschwili sagte, es sei auch ein Vorteil, ein wenig gelesener Autor zu sein. So könne man immer ohne die Gefahr, etwas schon Bekanntes zu präsentieren, aus alten Werken lesen. Tags zuvor hatte er noch gesagt, er trete eigentlich nicht so gerne öffentlich auf; nun inszenierte er, auf den Punkt genau vorbereitet, gestenreich, genau akzentuiert kurze Passagen aus seinen Werken. Mit großer Freude verlebendigte er seine Texte, die die Widerständigkeiten anderer Texte – Rilkes „Cornet“ etwa oder „Hamlet“ – ausloteten oder die, völlig minimalistisch, von dem kleinen, von zwei „ts“ bedrängten „o“ handelten und sagte irgendwann: „Wenn es zu lang wird, müssen Sie mir das sagen. Ich merk das nicht.“

Danach würdigte die Dichterkollegin Katja Lange-Müller den Dichter und pries den „weisen Anarchisten“ und „närrischen Weisen“. Umringt von Bewunderern stand er da in der Tür und sagte beim Gehen: „Irgendwann müssen wir einmal nach Georgien fahren. Das wird ein tolles Ding!“ DETLEF KUHLBRODT

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