Der Jäger des bösen Wulff

Unterwegs mit Wahlkämpfern: Wolfgang Jüttner im Kampf gegen die Demoskopen. Am kommenden Sonntag will der Umfragesieger-Besieger Ministerpräsident von Niedersachsen werden

VON KAI SCHÖNEBERG

Montag, 14. Januar. Der Spitzenkandidat ereifert sich. Schnurz und piepe sind ihm die Umfragen, auch bei der Bundestagswahl 2005 hätten die Demoskopen dumm aus der Wäsche geschaut. „Ich bin Soziologe von Beruf, bisschen was weiß ich über Wahlen“, sagt der Mann, der am kommenden Sonntag Ministerpräsident von Niedersachsen werden will, der Mann, den die Jusos schon zum Umfragesieger-Besieger kürten. Wolfgang Jüttner sagt, er fühle sich wohl in seiner Rolle als Jäger von Christian, dem bösen Wulff, ein „Kampfauftrag“, für den er sich „zerreißen“ wolle. Jüttner redet sich in Rage. Alle sprächen über die Umfragen, in denen die Werte der SPD schlecht, die Jüttner-Werte besonders schlecht sind. Niemand, ärgert sich Jüttner, rede über die Inhalte, darüber, „wie wir in den nächsten fünf Jahren Politik in Niedersachsen buchstabieren wollen“.

Montag, Eulenspiegel-Halle in Schöppenstedt. Die Blechbläser, die die jüttnerischen Touren mit Beck, Steinmeier und Gabriel begleiten, scheppern „Go West“. Einmarsch von Spitzenkandidat und Stargast Wolfgang Wowereit. Tusch, die 400 Sozialdemokraten aus dem Süd-Elm applaudieren, Berlins Bürgermeister begrüßt den „lieben designierten Ministerpräsidenten Wolfgang Jüttner“, hinter ihm prangt der SPD-Slogan „Gerechtigkeit kommt wieder“.

Jüttner redet unweit des Atommülllagers Asse natürlich darüber, dass die SPD für den Atomausstieg ist. Über höhere Löhne für alle, zu hohe Managerlöhne, Mindestlöhne, Hungerlöhne. „Wir wollen, dass mit dem Aufschwung die Gerechtigkeit kommt“, sagt Jüttner und haut zackig mit den Handkanten in die Schöppenstedter Luft. „Er strahlt was aus“, sagt Karl Beyer, ein 69-jähriger Kaufmann, der schon immer bei der SPD angekreuzt hat. „Aber er muss sich besser verkaufen, mehr die Hände benutzen.“

Freundlicher Beifall, aber keine Jubelstürme. Der Wahlkampf hat Jüttner, der auch von den eigenen Leuten wegen mangelnden „Killerinstinkt“ und „Beißhemmungen“ kritisiert wird, verändert. Der 59-Jährige, der seine SPD stets wie eine große Familie führen wollte, ist aggressiver geworden. Die CDU schmäht ihn trotzdem als Jammer-Jüttner, ja als Kanonenfutter.

Er hat keinen leichten Gegner. Schritt um Schritt ist der Mitte-Wulff in den vergangenen Monaten nach links gegrätscht, um Jüttner Themen wegzuschnappen: Eltern bekamen die Aussicht auf mehr Gratis-Kitas, Gesamtschulen und Feuerwehrlehrer, Initiativen das Erdkabelgesetz, Beamte mehr Geld. Wulff hat Jüttner nur noch verdammt wenig Luft gelassen.

Hotel Berghölzchen, Hildesheim, die SPD-Gladiatoren stärken sich in einem Hinterzimmer bei Wasser, Wurst- und Käsebrötchen. Wahlkreis-Kandidat Markus Brinkmann hat wegen Wowereit eine Bärchen-Krawatte angelegt. Wowereit sagt verduzt, „wieso denn, die Umfragen zeigen doch nach oben, oder?“ Sein Referent erklärt, der Bürgermeister könne nicht alles wissen, schließlich sei er gerade aus dem Skiurlaub zurück.

Mittwoch, das Interview in der Bunten wird öffentlich. „Da bin ich froh, dass er nicht mein Schwiegersohn ist“, lässt sich Marion Jüttner-Hötker zitieren und spielt damit auf die Wulff-Trennung, die Freundin und darauf an, dass Wulff einst die Schröder’sche Currywurst-Scheidung thematisiert habe. Teile der SPD sehen darin ein Kommunikations-Debakel. Attacken unterhalb der Gürtellinie des „Mitbewerbers“ passten nicht zum Drehbuch Jüttners, des sachorientierten, ehrlichen SPD-Maklers.

Donnerstag. Laut Infratest Dimap hat die SPD um einen Punkt auf 34 Prozent zugelegt, die CDU schwächelt leicht. Noch liegt sie dennoch mit 44 Prozent zehn Punkte vor der SPD, doppelt so viele Niedersachsen würden sich bei einer Direktwahl für Wulff statt Jüttner entscheiden. Der feiert die „Abwärtsbewegung“ von Schwarz-Gelb und kündigt an, in den letzten zehn Tagen die Unentschiedenen erreichen zu wollen. Zwei Millionen Jüttner-Briefe sollen an die Niedersachsen geschickt werden. Noch in der Nacht nach dem TV-Duell im NDR am morgigen Mittwoch will die SPD Flyer drucken, um die Nachricht von Jüttners Sieg zu vervielfachen.

Montag, 21. Januar. Der Focus meldet, die Niedersachsen-SPD bereite sich auf den Stabwechsel nach Jüttners Niederlage vor. Landesparteichef Garrelt Duin solle nun Fraktionschef werden. Der steht jedoch gar nicht zur Wahl. Wahrscheinlich wird die SPD dennoch relativ schnell einen neuen Leitwolf präsentieren wird, falls Jüttner am Sonntag schlecht abschneidet. Was ist schlecht? Die Latte liegt gar nicht so hoch: Alles, was er mehr holt als die desaströsen 33,4 Prozent von Sigmar Gabriel 2003, wird Jüttner als Gewinn verbuchen können.