ausgehen und rumstehen
: Das Erinnerungskarussell dreht sich: Geburtstage feiern

Es brauchte mal wieder die Vorankündigungen des Club Transmediale, um die Witterung eines brandheißen Trends aufzunehmen. Es gibt in der Stadt wohl ein Partyveranstaltungskollektiv, das prophetisch behauptet: Geburtstagsparty is the new loud. Sie nennen sich sinnfällig „Birthday Party!“ und setzen auf den euphorisierenden Effekt von 50 Kilogramm Konfetti, mittenrein gestreut in die Crowd. An superhip supermobil wechselnden Orten sollen die Freudennächte stattfinden, bei denen es um Ausgelassenheit und Schweißesnässe geht, und zwar von der ersten Feiersekunde an. Ob dabei wirklich jemand Geburtstag hat, ist zweitrangig, es geht ums Prinzip: Kein lässig gelangweiltes Club-Rumstehen mehr, bis die erste Pille bei der Ersten endlich den Tanzautomatismus anwirft. Nein, sich jeglicher Schamgefühle entledigender urbaner Hedonismus via kreisch, kreisch, Hits, Hits, ausflipp, ausflipp. Da muss man mit. Weil die nächste offizielle „Birthday Party!“ aber erst am 2. Februar in der Maria stattfindet, durfte dieses Wochenende, zum Warmwerden sozusagen, das B-Day-Prinzip nochmal ganz konservativ anhand von an wirkliche Jubiläen geknüpften Festen geprüft werden. Viermal gleich.

B-Day 1, Freitag, Westgermany, 40ster: Überall Rosen in Altglasflaschen, dazu stadtbekannte, experimentgeneigte Musiker auf offener Bühne. Lang lärmte man dort vor sich hin. Die Gästemehrheit hielt sich woanders auf und übte sich in schönem Small Talk, der mal mit zu häufig mit dem eigenen Kopf die eigenen Fensterscheiben einschlagenden Nebenmietern, mal mit den grundsätzlich beklagenswerten Verdienstmöglichkeiten zu tun hatte. Sehr viel später wurde auch noch getanzt – zu Prince, dem „Safety Dance“ und der „Spanish Eyes“-Version einer Steel Band aus Trinidad. Nicht flippig, aber angenehm organisch entwickelt.

B-Day 2, Samstag, M12, 35ster: Während herrliche Erdbeer-Daiquiris ausgegeben wurden, stand man an den großen Fensterscheiben und versuchte, raus auf den Alex zu schauen, starrte aber immer nur auf Plakate, die sich für die Pyronale auf dem Maifeld stark machten. Ansteckend freudvolle DJs spielten sich durch die Charts der Achtziger, was erst sehr schön war, aber irgendwann zur festgeschnürten Sicherheitsverwahrung im Erinnerungskarussell wurde. Man sprach: „Andrew Eldritch trug diese verspiegelte Sonnenbrille.“ Ja, stimmt. „Das lief immer in der Tanzschule.“ Bei mir auch. „Das hab ich auf Kassette – aber nur zur Hälfte, dann quatschte der SDR3-Radiofuzzi dazwischen.“ Ja, so war das. Die Frage, ob das Prinzip Birthdayparty dazu neigt, mit dem Prinzip Ü-30 in eins zu fallen, blieb an dieser Stelle beunruhigend ungeklärt.

Zwischendurch ein Gastrotip: Das „Block House“ auf der Karl-Liebknecht-Straße bietet aufsehenerregenden Service: „Besonders warm ans Herz legen möchte ich Ihnen unser Prime-Offer mit dem 300-Gramm-Rib-Eye-Mastercut. Die Baked Potato können Sie gern austauschen gegen Pommes Frites, Gratin oder Mashed Potatoes. Den Salat gibt es mit American, French und Italian Dressing. Zum Nachtisch einen Cheese Cake mit Blaubeer-Topping? Wenn Sie Fragen haben: Ich bin die Iris, rufen Sie einfach, dann erkläre ich alles nochmal von vorn.“ Bravo!

B-Day 3, Geburts-Tag: Im ehemaligen Kosmos-Kino auf der Karl-Marx-Allee residiert seit Samstag die „Glamour Lounge“. Schlangenweise stehen junge LichtenbergerInnen davor, recken den Türstehern ihre gefälschten Ausweise entgegen und geben ihre Alkopops ab. Sie tragen weiße Nietenjacken, auf denen „Punk Deluxe“ steht, und Frisuren, die „Beckham“ nacheifern. Drinnen soll es einen Techno Floor, einen Mix Floor und eine Raucherlounge geben.

B-Day 4, Samstag, Careca, 30ster: Musik fast nur aus 2007, trotzdem ausschließlich kontemplativer Zwei-Schritt-Kombinationstanz zu Gwen Stefani und LCD Soundsystem. Ergänzend beamte das Geburtstagskind Fotos aus dem Desktop-Ordner „Malle 05“ an die Wand.

Wahre Ausgelassenheit sollte ein anderes Gesicht tragen. Möglicherweise tatsächlich das von 25-jährigen New-Rave-Überdrüssigen, die ganz anlasslos Konfetti-Geburtstag feiern. Wird geprüft in zwei Wochen.

KIRSTEN RIESSELMANN