berliner szenen Glotze glotzen

Das Leben als Film

Wir waren gestern zu einem Geburtstag eingeladen. Bei Leuten, die wir selten sehen, weil wir uns alle sehr verändert haben in den letzten Jahren. Ich fand diese Geburtstage irgendwann langweilig, und wir haben uns einige Male davor gedrückt und schon oft überlegt, ob wir gar nicht mehr hingehen sollten. Gestern waren wir doch wieder da. Und es lief genauso wie früher. Rumsitzen, quatschen, Knabberkram essen und allerhand trinken. Ein Grüppchen erzählt Witze, die ich nicht verstehe, weil ich zu weit weg sitze. Ein anderes Grüppchen erzählt seit einer halben Stunde den gleichen Witz in Variationen: dass dem Gastgeber die Haare ausgehen und was das für Folgen oder Ursachen haben kann. Ein Pärchen tanzt zu seltsamer Musik. Bei diesen Gastgebern gibt es immer Musik, die ich nicht mag. Mariah Carey, Whitney Huston und Celine Dion, für mich ist das Folter.

Der einzige Unterschied zu den letzten Partys, bei denen wir dabei waren, ist, dass es eine Videokamera gibt. Früher waren die Gastgeber ziemlich technikscheu. Aber jetzt wird der ganze Abend gefilmt. Das Irre: Gegen Mitternacht fangen sie an, alles, was sie gefilmt haben, im Fernsehen vorzuführen. Wir sitzen da und sehen das, was wir vor zwei, drei Stunden erst erlebt haben. Ein Grüppchen erzählt Witze, die ich nicht verstehe. Ich sehe mich, wie ich mich verbissen vorbeuge, die Ohren gespitzt. Der Gastgeber guckt verkniffen, derweil die Gäste über seine Glatze lästern. Jemand wollte sogar ein Staubtuch holen. Muss ich vorhin verpasst haben. Na, dank des Videos habe ich das jetzt mitbekommen. Plötzlich fürchte ich, jemand filmt, wie wir hier sitzen und uns im Fernsehen ansehen und dass ich das später gucken muss. Nichts wie weg.

ANNETTE SCHWARZ