Meeses Meuterei auf der Moby Dick

Künstler Jonathan Meese unterhält jetzt auch die Rundfunkempfänger. In seinem Hörspiel werden allerlei Erzählungen von den sieben Weltmeeren zu einer gebrüllten Meditation über den Terror des Kollektivs verwoben

Für ein Theater ist die Aktion etwas minimalistisch: Ein Techniker kommt, steigt im kleinen Saal des III. Stocks der Volksbühne auf die Technikbühne und legt einen Schalter um. Ab da sitzen die Besucher im rot durchleuchteten Dämmer und lauschen 50 Minuten lang einem Hörspiel von Jonathan Meese. Drei Stunden, bevor die Nachthörer von WDR 3 seine Ursendung erleben. Wer am Montagabend von diesem Voraushören Gebrauch machte, erfuhr danach noch von Henning Nass und Wolfgang Urzendowsky, dem Regisseur und Tontechniker der Produktion, wo das Material gesammelt und wie bei der Montage verfahren wurde.

Ob man WDR 3 auch auf Schiffen empfängt? Das ist eine schöne Vorstellung, wie der von Möwenschreien, Moby-Dick-Zitaten, Meuterei-auf-der-Bounty-Anspielungen und maritimen Kauderwelsch geprägte Klangraum von „Dr. Eiahab’s Neutralmeuterei de Large“ auf die real existierenden Hierarchien trifft. Kommandos brüllen ist etwas, dass die Volksbühnenschauspieler Bernhard Schütz und Frank Büttner ausgiebig zelebrieren. „Erzähl mehr von zu Hause“, fordert mit Befehlshaberautorität eine Stimme die gerade angeworbenen Burschen auf. „Meine Mutter…“, „ist mir schon zu individualistisch“, wird die Antwort abgebügelt. Und obwohl die Stimmen kurz vor dem Überschnappen stehen, haken sie sich in der Situation fest und schrauben sich wie ein Bohrkopf Windung um Windung weiter.

Völlig unaufgeregt ist dagegen einzig der Duktus der Stimme von Frau Meese, der Mutter des Künstlers, der die sachlichen Erklärungen in diesem Hörstück zufallen: wie jedes Schiff einen Mikrokosmos bildet und was ein Kapitän zu tun hat. Man glaubt sie dabei fast am Kaffeetisch sitzen zu sehen und mit ihrem Sohn hinaus auf den Hamburger Hafen zu schauen. Dessen Interesse für Meuterer und Revolutionen zur See arbeitet sich vor allem lautmalerisch an einem ständigen Sabotieren der Sprache ab. Er versenkt Silben und Buchstaben, klebt andere zusammen, türmt in Aufzählungen seiner Reisebegleiter Namen übereinander, die das historische Gedächtnis ständig schrammen und sofort zum Nächsten übergehen. Kunst oder Seefahrt, das merkt man bald, laufen dabei ineinander über. Der Geist des Widerspruchs und der Geist des Gehorsams gehen perfide Bündnisse ein, denen nur mit Zweideutigkeiten begegnet werden kann. Irgendwer muss für die Aufnahme ins Kollektiv immer wieder absurde Fragen beantworten wie: „Wie klärst du die Sackgasse, wenn wir auf hoher See sind?“ Ausgeschlossen zu werden, hängt als Drohung über allem.

Trotzdem sitzt man als Hörer fast die ganze Zeit da und grinst sich eins über die albernen Volten der Sprache und ihrer Versprecher. Entstanden ist fast das ganze Hörspiel aus spontanen Improvisationen, die Henning Nass aufnahm, wann immer er der teilnehmenden Schauspieler habhaft werden konnte. Hätte er nicht schon mit Schlingensief Hörspiele gemacht, die immer in dessen Küche aufgenommen werden mussten, er wäre der Situation nicht ganz gewachsen gewesen, erzählt er mit gutem Stolz auf diese Erfahrung. Tatsächlich gelingt es der Collage, viel von der Unmittelbarkeit einer Performance zu transportieren. Und damit des Bild des Künstlers, der die Produktion über das Produkt stellt, doch noch portionsgerecht zu verpacken und zu versenden.

KATRIN BETTINA MÜLLER

Noch einmal zu hören am 12. Februar, 23 Uhr, 1Live Plan B Soundstories