Ein Begräbnis

VON BEATE WILLMS

Die Spannung dauerte bis zum Nachmittag: Wie würde die US-Börse auf die Börsenabstürze in Europa und Asien reagieren, nachdem sie am Montag wegen eines Feiertags geschlossen geblieben war? Ebenfalls nachgeben und damit den Abwärtstaumel beschleunigen? US-Notenbank-Chef Ben Bernanke jedenfalls nahm diese Möglichkeit ernst: Eine Stunde vor Handelsbeginn senkte die Fed den Leitzins um 0,75 Prozentpunkte auf 3,5 Prozent.

Schon am Freitag hatten die Märkte mit einer Zinssenkung gerechnet. Als die ausblieb, wechselten enttäuschte Investoren ihre Strategie. Statt auf steigende Kurse spekulierten sie nun auf Verluste – und forcierten damit den Börsenrutsch erst recht. Bei Redaktionsschluss sah es so aus, als könne Bernankes Nun-doch-Zinssenkung am Dienstag die Märkte zumindest wieder stabilisieren. Der Dow-Jones-Index und der technologieorientierte Nasdaq starteten zwar mit einem Minus von 3,5 und 5 Prozent, holten dann aber wieder auf.

Das lässt auch die Anleger an den asiatischen Börsen wieder hoffen. Von Tokio bis Schanghai, Hongkong und Mumbai waren die Indizes in den Keller gerast. Am dramatischsten traf es den wichtigsten indischen Index in Mumbai: Als er gleich zu Beginn 11,5 Prozent verlor, musste der Handel zunächst komplett ausgesetzt werden. Letztlich erlitt der Index einen Verlust von 5 Prozent. Der Hang-Seng-Index in Hongkong verlor 8,6, der japanische Nikkei in Tokio 5,65 Prozent, so viel wie zuletzt nach den Anschlägen vom 11. September 2001. „Das ist wie ein Begräbnis hier“, zitierten Agenturen einen Analysten.

So leicht dürfte das Vertrauen der Anleger in die Geldpolitik nicht wiederhergestellt werden. Die Fed habe zu lange mit deutlichen Schritten gewartet, war auf dem Parkett immer wieder zu hören. „Nun müssen die Zinssenkungen drastischer ausfallen.“ Schließlich zeigten die Umstände der Reaktion, dass „die Lage offenbar besonders dramatisch“ sei.

Die Börse in Frankfurt dagegen konnte zunächst von den Aktivitäten der Fed profitieren. Nachdem sie mit einem Abschlag von über 5 Prozent gestartet war, pendelten sich die Werte mittags auf minus 2,2 Prozent ein. Das Börsenbarometer schloss 0,31 Prozent niedriger bei 6.769,47 Punkten. Der MDAX gewann 3,88 Prozent auf 8.248,82 Zähler, für den TecDAX ging es um 3,54 Prozent auf 750,99 Zähler hoch.

Allerdings hatten auch deutsche Notenbanker und Politiker den ganzen Tag über versucht, die Märkte zu beruhigen. Jürgen Stark aus dem Direktorium der Europäischen Zentralbank sprach von „Tagesereignissen“, Bundesbankchef Axel Weber von einem „schmerzhaften, aber notwendigen Anpassungsprozess“ und Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) von einer „normalen Entwicklung“. Die Opposition dagegen forderte Konsequenzen, um die Folgen der Finanzkrise für die Konjunktur einzudämmen. Grünen-Finanzexperte Gerhard Schick verlangte eine Verbesserung der Finanzaufsicht und mehr Transparenz, Linken-Experte Axel Troost eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte (siehe Interview) und FDP-Fraktionsvize Carl-Ludwig Thiele Steuererleichterungen.