Kassenbon als Gobelin

Politik ist schön. Aber als Konzept für eine internationale Gruppenausstellung reicht sie nicht aus. Das erweist derzeit sehr deutlich eine mit Arbeiten von zehn Künstlern bestückte Schau im Hamburger Kunstverein. Spannung und echte Subversion bieten einzig und allein die Arbeiten aus Kuba und Korea

VON PETRA SCHELLEN

Wenn da nicht dieser Untergrundkämpfer wäre, hätte Haegue Yang dieses Kunstwerk vielleicht nicht geschaffen. Dann hätte sie sich niemals mit totgeschwiegenen Facetten koreanischer Geschichte befasst und sich des 1938 verstorbenen Kommunisten Kim San erinnert, der während der japanischen Besetzung Koreas im Widerstand aktiv war.

Aber das wäre auch nicht schlimm, denn dann hätte sich die koreanische Künstlerin eben einen anderen Grund ausgedacht, um diese poetische Installation aus roten Lamellen und wandernden Lichtpunkten zu schaffen. Denn diese Arbeit – derzeit in einer Gruppenausstellung des Hamburger Kunstvereins zu sehen – wirkt auch ohne Erklärung. Nein, schlimmer: Eine solches Werk kann durch Konkreta nur verlieren; die Deutungsspielräume schrumpfen durch das Wissen um den politischen Hintergrund merklich.

Aber genau das ist intendiert: „Wessen Geschichte“ haben die Kuratoren die Ausstellung genannt. Zehn Werke internationaler Künstler sollen individuelle und kollektive Identität, die Verknüpfung von Kunst und Politik offenbaren und nach der Relevanz nationaler Facetten fragen.

Mit diesem Anspruch begibt sich die Ausstellung auf dünnes Eis, greift die Festlegung auf nationale Spezifika bei der Deutung von Kunst doch meist zu kurz. Andererseits gerät Kunst, die mit nationalen Insignien arbeitet, leicht zum oberflächlichen Symbol-Dropping.

Der Rumäne Victor Man ist so ein Gefährdeter: Eine Handvoll Depeche-Mode-Fans hat er abgelichtet – korrekt in Schwarz und mit toupiertem Haar. So weit, so westlich. Nur die karge Landschaft und die ärmlichen Häuser im Hintergrund lassen ahnen, dass sich dies in einem Land mit anderem Wohlstandsniveau abspielt.

Eine sehr subtile Anspielung auf den Kalten Krieg, der rumänischen Jugendlichen den Zugang zu westlicher Popmusik erschwerte; Fan-Kostümierung wurde hier zum Akt der Subversion. Daneben hat Victor Man eine traditionelle rumänische Hirtenmütze in eine Vitrine gelegt, in die er einen Stern – ein Duchamp-Zitat – gravierte. Eine interessante Verknüpfung „nationalen“ Materials mit westlicher Kunstgeschichte. Doch letztlich spiegelt diese Arbeit bloß den verzweifelten Versuch, trotz rumänischer „Spezifika“ ein im Westen lesbares, leichtgängiges Werk zu erstellen. Eine ängstliche Anbiederung, die der Künstler gar nicht nötig hätte.

Weniger Angst vorm Missverstandenwerden hat der Kubaner Diango Hernández: Er bezieht sich explizit auf ein spezielles Ereignis. Ihn hat ein staatlich befohlenes Schach-Massenturnier in Havanna von 2002 inspiriert. Schachbrettartig hat er Redetexte Fidel Castros an die Wand gehängt. Den Boden bedeckt ein Schachfeld mit abgesägten Tisch- und Stuhlbeinen drauf. Eine Arbeit, die intelligent vom Konkreten ins Symbolische kippt, zeigen die demolierten Stuhlbeine doch deutlich, dass diejenigen, die Kubas Propaganda stützen, lieber ihre eigenen Tische bzw. ihr eigenes Wohlergehen tragen sollten. Dies ist eine der stärkeren Arbeiten der Schau – gerade weil sie mit so klaren Insignien arbeitet und nicht versucht, die an sich banale Metapher der Schachfigur krampfhaft zu vermeiden.

Erfrischend direkt ist auch der Mexikaner Gabriel Kuri vorgegangen: Er hat – in Anspielung auf die von Herrschern bestellten Riesengobelins des 17. Jahrhunderts – Kassenbons zu Vorbildern für Gobelinteppiche gemacht; eine Nichtigkeit wird Preziose. Die Parallele ist klar: Früher priesen die Bilder auf diesen Teppichen die Herrschenden. Kuri fokussiert das Unspektakuläre, auf dem heute Macht basiert: den Konsum. Trotzdem kommt auch er über das Spiel mit dem Material nicht hinaus.

Auch die ungarische Gruppe „Little Warsaw“ verharrt im Plakativen: Es genügt nicht, sich selbst zu zitieren, wie sie es mit dem Gedenkstein tut, der die Kopie einer vorhergehenden Installation ist. Es genügt auch nicht, die Frage nach denen, die einst die Inschrift zerstörten, offen zu lassen. Dies schafft zwar einen interessanten Raum für Reflexion, kommt aber über Formales nicht hinaus. Politisch ist dies nicht, über den Umgang mit eigener Geschichte erzählt es – abgesehen von passiver Ratlosigkeit – nichts.

Silke Schatz‘ Installation, die die Kluft zwischen dem ehemaligen KZ Theresienstadt und dem heutigen Erscheinungsbild des Ortes öffnet, übt sich gleichfalls im Staunen über die Kluft zwischen Grauen und Normalität. Für die Künstlerin ein Akt individueller Vergangenheitsbewältigung; ihr Großvater war aktiver Nazi. In die Abstraktion wagt sie sich mit ihrer Bodeninstallation aber nicht, zeichnet stattdessen den Grundriss der Stadt nach.

Letztlich arbeitet diese Künstlerin allerdings mit genauso schlichten Chiffren wie Andreas Runde, der konspirative Wohnungen der RAF nachbaute und filmte: Er will dem latenten Grauen inmitten vermeintlicher Normalität nachspüren. Auch dies ist kein neuer Ansatz. Die Arbeit bleibt nah am politischen Anlass und greift in puncto Allgemeingültigkeit zu kurz.

Fazit: Zu einem Zusammenhang findet diese recht beliebige Ausstellung nicht. Zur Entscheidung darüber, ob fesselnde Kunst zwingend politisch sein muss, auch nicht. Dafür ist die Formsprache der hier vertretenen europäischen Künstler nicht stark genug. Jedenfalls im Vergleich zu ihren Kollegen aus Korea und Kuba. Künstler dieser Staaten haben einfach mehr Grund zur Subversion. Und das hängt durchaus mit der nationalen Geschichte zusammen.

Die Ausstellung „Wessen Geschichte“ ist bis 23.3. im Hamburger Kunstverein zu sehen.