Im frühen Morgenlicht

Die alten Kaufmannspaläste Kalkuttas zeugen heute von der knappen Ressource Raum. Ein Fotoband schaut hin

Schon die Wäsche, die im Lichthof zum Trocknen hängt, zeigt es an: In diesem Palast wohnen heute viele Mietparteien. Für ein luxuriöses Leben entworfen, das mit der Ressource Raum in der Stadt noch verschwenderisch umging, sind die einstigen Kaufmannspaläste der Stadt Kalkutta heute in der Wirklichkeit explodierender Bodenpreise angekommen. Verkaufsbuden drängen sich an die Palastwände, zwischen Säulen liegen Schläfer auf dem Boden, Hüttenlandschaften sind auf den Dächern entstanden. In manchen leer stehenden Gebäuden aber sind nur noch die Luftwurzeln gigantischer Bäume zu Hause.

Wie sich die Gegenwart an die Vergangenheit dieser herrschaftlichen Häuser schmiegt, zeigt der Fotoband „Calcutta“. 21 Studenten der Hochschule der Künste Bremen reisten Ende 2006 nach Kalkutta, mit Unterstützung unter anderem des Goethe-Instituts und einer indischen Filmhochschule. Vorgeschlagen hatte das Projekt Peter Bialobrzeski, Professor der Fotoklasse, der durch den indischen Historiker Manish Chakraborti auf dieses architektonische Erbe aufmerksam gemacht worden war. Ein indisches Denkmalschutzprogramm für die Zeugen des 19. Jahrhunderts entsteht gerade erst, dokumentiert sind sie noch nicht. Die Bremer Fotografieklasse machte den Anfang.

Die bengalische Variante der Fabrikantenvilla erinnert nicht nur an die Zeit, als Indien zum britischen Kolonialreich wurde. In mindestens eben dem Maße erzählt die hybride Architektur davon, wie Indien Europa entdeckte und sich in Stilzitaten nahe brachte. Antikisierende Säulen und große Giebel, Marmorsäle und barocke Salons kamen in den Häuser der bengalischen Oberschicht neben Kuppellandschaften und dem lebhaften Baustil der Moghul-Architektur in einem transkulturellen, eklektizistischen Historismus zur Entfaltung.

Die Aufnahmen der Studenten entstanden in den frühen Morgenstunden, bevor die Sonne harte Schatten setzt. Zu dieser Zeit brennt noch Kunstlicht in den Räumen. In allen Neonfarben strahlt es aus den Fenstern. Das Buch der Fotografieklasse beeindruckt nicht zuletzt, weil die Studierenden sich auf eine Handschrift geeignet haben, die sich ganz dem heutigen Leben der Stadt öffnet.

Ihre Bilder sind auch als Ausstellung unterwegs, bis zum 27. Januar im Willy-Brandt-Haus in Berlin, vom 8. Februar bis zum 24. März im Deutschen Architekturmuseum Frankfurt.

KATRIN BETTINA MÜLLER