Schöner sterben

Und der Bremer Literaturpreis geht an: Hans Joachim Schädlichs Prosa-Bändchen „Vorbei“: Ohne Larmoyanz zeichnet es in eleganter Verknüpfung von Fiktion und Wirklichkeit lakonische Bilder von der Macht des Todes

Vom eigenen Bruder für die Stasi bespitzelt, als Literat mit Veröffentlichungsverbot belegt. 1977 verließ Hans Joachim Schädlich die DDR. Seither verging für ihn kaum ein Jahr ohne Würdigung, Ehrung, Literaturpreisverleihung. Allein sein bei Rowohlt erschienener Band „Vorbei“ erhält neben dem mit 20.000 Euro dotierten Bremer Literaturpreis der Rudolf-Alexander-Schröder-Stiftung den Großen Literaturpreis der Bayerischen Akademie und den Preis der SWR-Bestenliste.

Schädlich wurde 1935 in Reichenbach im Vogtland geboren, studierte Germanistik und Linguistik in Berlin und Leipzig, promovierte über „Die Phonologie des Ostvogtländischen“ und arbeitete von 1959 bis 1976 an der Ostberliner Akademie der Wissenschaften als Mundartforscher. Mit „Versuchte Nähe“ erzielte er 1977 einen ersten großen Erfolg im Westen – in dem Jahr, in dem der Bremer Literaturpreis durch einen mit 6.000 Euro dotierten Förderpreis ergänzt wurde: Diesmal erhält ihn Thomas Melle für seine im Suhrkamp-Verlag erschienene „Raumforderung“. Der Übersetzer und Prosa-Autor wurde 1975 in Bonn geboren, besuchte dort ein Jesuiteninternat, studierte Theaterwissenschaft und Komparatistik in Tübingen und Austin (Texas). Als Rahmenprogramm der Preisverleihung richtet die Schröder-Stiftung die 32. Literarische Woche aus. Fis

Programm: www.literarische-woche.de

Als kleinen, beängstigenden Begleiter möchten wir ihn nicht missen, den Herrn Tod. Als Ansporn, unsere Anwesenheit hier und jetzt zu nutzen, Ziele zu setzen, sich ihnen anzunähern, eine Aufgabe zu erfüllen, ohne zu wissen, ob sie richtig ist oder nicht.

Im Angesicht der unbedingten Bedrohungen vermittelt sich: ein Sinn des Lebens – ist Leben. Es weiß ja keiner, ob eine Art Seele ins Unendliche, Unsterbliche entfliehen kann, wenn der Organismus den Gesetzen des Anorganischen unterworfen wird. Der Tod als große Unbekannte.

„Solange wir leben“, heißt es bei Epikur, „ist er nicht da, und wenn er da ist, sind wir nicht mehr.“ Klar bleibt: Das Wesen allen sexuellen Lebens ist das Sterben. Existenzialisten nehmen das als tragischen Witz, Gläubige als Erlösung. Und die Abgeklärten, Altersweisen erkennen die Tatsache einfach traurig an. Ohne Larmoyanz. Wie Hans Joachim Schädlich. Drei Geschichten vom Ende allen Wirkens (als Künstler) sind im Erzählband „Vorbei“ versammelt.

Beim Sterben dabei sind wir in „Concret spirituel“, wo sich der böhmische Hofkapellmeister Franz Anton Rösler (1750-1792) alias Francesco Antonio Rosetti kurz vor seinem künstlerischen Durchbruch als Komponist – darniederlegt.

„Am 27. Juni mochte Rosetti nicht mehr essen. Am 28. Juni mochte Rosetti nicht mehr trinken. Am 29. Juni sagte er leise: ,Gott hat mich geschlagen. Die Anfälle bringen mich um den Sinn meines Lebens.‘ Am 30. Juni, morgens, drehte er sich zur Wand. Um sieben Uhr abends wurde ihm ums Herz leicht.“

So endet Schädlichs Buch. Knapper, leiser, klarer ist der Tod kaum zu beschreiben. Aus einer anderen Perspektive nähert sich „Torniamo a Roma“ dem Thema: als Rückschau. Aus Gerichtsakten rekonstruiert Schädlich den Tod des Antikenforschers Johann Joachim Winckelmann. Auf dem Höhepunkt seines Ruhmes wird er 1768 gemeuchelt wie später Pier Paolo Pasolini – von einem potenziellen Liebhaber. Raubmord. Winckelmann hatte mit dem Besitz wertvoller Klunker geprahlt.

Nach und während des Todes – fehlt also noch eine Geschichte vor dem Tod. In „Tusitala“ reisen wir einer fidelen Gesellschaft nach, die Robert Louis Stevenson in seinem Südsee-Exil besuchen möchte, das dieser 1890 auf Samoa bezogen hatte. Um gerade dann zu sterben, als die Gäste herangesegelt kommen.

Schade. Mehr aber nicht. Mit dieser alles durchdringenden Lakonie beschreibt Schädlich die Endlichkeit irdischen Strebens – und fordert gerade dadurch heraus, indem er sich allen Deutungen enthält. Wozu auch die Sprache beiträgt. Ungeschwätzig, ohne den Furor des Überreden-Wollens ist die Schreibkunst Schädlichs, nüchtern, geradezu ernüchternd der Erzählstil, ausgemergelt, und doch von aufreizend schlichter Eleganz. Gerade wenn man sich das Genre dieses Buches vergegenwärtigt: Dokudrama.

Wirkt die Verquickung von dichterischer Fantasie und zeitgenössischen Dokumenten im Fernsehen immer recht rüde, plump und hilflos, verknüpft Schädlich Fakten mit Fiktionen mit höchster Virtuosität, amalgamiert überlieferte historische Quellen mit seinen Texten, indem er seinen eigenen Ausdruck der sprachlichen Ausdrucksweise der Zeit annähert, in der die Figuren agieren. Retro-Deutsch vor allen Rechtschreibreformen.

Bei Rosetti geht er soweit, da keine Briefe an seine Frau überliefert sind, diese selbst zu schreiben: Historisierend, radikal distanzierend. Und alles immer mit einer Genauigkeit scharf am Rande der Pedanterie.

Der Sprachwissenschaftler Hans Joachim Schädlich ist ein Moralist des Deutschen, konzentriert Worte auf ihren Sinn, gibt der Sprache durch Verknappung bis hin zur Askese ihre Integrität zurück. Stilistisch brillant, bewunderungswürdig. Jetzt bekommt Hans Joachim Schädlich den Bremer Literaturpreis, den Regularien des Preises folgend für das Buch „Vorbei“. Zweifellos soll damit aber auch sein Lebenswerk geehrt werden. Jens Fischer