Die zehn Gebote für eine Linksfraktion

Seit Bremen weiß man, wie viel bei einer neuen Linksfraktion schief gehen kann. Die niedersächsische Spitzenkandidatin Kreszentia Flauger war gestern in der Parteizentrale in Berlin: Die taz nord ahnt, was Flauger geoffenbart wurde, und hat es aufgeschrieben – den Genossen in Hannover zum Frommen

von BENNO SCHIRRMEISTER

„Da die Welt nun voll und in der Blindheit versunken war, dass man schier nicht mehr wusste was Sünde war oder wo Tod hergekommen sei, bringt Gott Moses hervor mit dem Gesetz.“

(Martin Luther)

Auch beim Prototyp in Bremen herrschte gestern Freude und wohl auch Erleichterung über den Einzug der Linken in den niedersächsischen Landtag: Dass die Bürgerschaftsfraktion im Kleinststaat nicht mehr allein auf weiter Flur und folglich nicht mehr ganz so im Fokus des Interesses steht – davon kann sie nur profitieren.

Und umgekehrt? Sollte die Niedersachsen-Linke das Bremer Trüppchen als Modell sehen? Gott bewahre! Nicht erst seit der Bremer Parteienforscher Lothar Probst „eine Zwischenbilanz ihrer bisherigen Politik“ gezogen (www.lotharprobst.de) hat, dürfte dem Bundesvorstand davor grausen. Gestern war die niedersächsische Spitzenkandidatin Kreszentia Flauger in der Parteizentrale. Die taz nord verrät, welche Gebote die Wahlsiegerin in Empfang genommen hat.

1. Du sollst die Bundespartei achten und deine Bindungen an sie pflegen!

Hier bist du wirklich weit vorn, gesegnetes Niedersachsen: Die Chefs im Lande sind Flauger, bislang hauptberuflich Mitarbeiterin im Abgeordnetenbüro des Bundestaglers Axel Troost, und Dieter Dehm, der selbst ein Mandat in Berlin hat. Die Bremer schmücken sich dagegen seit jeher lieber mit Gesten der Dissidenz und witzeln: „Toll sind seine Liederabende – etwa: Brecht mit Dehm.“ Und der vom Bundesvorstand als Bremer Spitzenkandidat ausgeguckte Bundestagler Axel Troost fiel an der Weser natürlich durch. Nein, Hannover, du weißt, solches ist Unzier. Sonst ist Bundländerkoordinator Bodo Ramelow schneller an der Leine als ein hochgezüchteter Wachhund.

2. Du sollst dich abgrenzen!

In Bremen spürt die Probst-Studie zwar eine deutliche verbale Distanznahme zur rot-grünen Regierung auf – muss dann aber feststellen, dass die eigentliche parlamentarische Arbeit „keineswegs so konfrontativ“ verlaufe: Man stilisiert sich als Kraft, die sozialpolitische Entscheidungen vorantreibt und verkündet – freilich unwiderlegbar – dass diese nie getroffen worden wären, wenn die Linksfraktion nicht im Parlament säße. In Niedersachsen kommt hinzu, dass dort auch SPD und Grüne in der Opposition sitzen: Die haben einen Erfahrungsvorsprung. Und stellen linke Forderungen.

3. Du sollst auf altgediente Wahlkämpfer verzichten!

Denn siehe, als Fraktion erhältst du Geld und hast Stellen zu vergeben. Doch beider Maß ist begrenzt: Von deinen 86 ListenkandidatInnen erhalten 11 ein Mandat, 75 aber sind unversorgt. Und obschon sie, und mit ihnen die im Vorfeld Aussortierten, Schlange stehen werden, wenn du die Jobs der Wissenschaftlichen Mitarbeiter und Fraktionsgeschäftsführer verteilst, traue ihnen nicht. Denn siehe, in Bremen hatte man zwei Parteisoldaten, die da kamen aus WASG und PDS, zu Fraktionsgeschäftsführern gekürt, und die Fraktions-Chefin war parteilos. Probst aber sah ein „latentes Misstrauens- und Konfliktverhältnis“ in den Reihen der Bremer. Darum sage ich dir, neue Linksfraktion zu Hannover, dass du kein zweiter zweiter Arbeitsmarkt bist. Deine Kriterien seien knallhart Kompetenz und persönliche Eignung. Willst du denn, dass der Ramelow über dich kommt? Siehe in Bremen fand er „eine Buchhaltung im Schuhkarton“, und er fletschte darob die Zähne und zürnte sehr.

4. Du sollst die Presse-Arbeit professionalisieren!

Die Presse versteht sich nie als dein Sprachrohr. Sei nicht enttäuscht wie die Bremer Abgeordneten, dass sie dieses Amt nicht wahrnehmen kann. Lehre deine Mitglieder, was eine Zeitung ist, was der Rundfunk und wie man sie nutzt. Suche dir eine kompetente Person, die das, was du sagen willst, auch ausdrücken kann und es länger mit dir aushält als drei Tage. Dann wirst du dich nicht darüber wundern, was aus deinen Worten geworden ist.

5. Halte dich fern von offenen Internet-Foren.

Du kannst sie nicht verbieten. Aber hüte dich, mit ihnen verlinkt zu sein. Denn siehe, der Bodensatz chronisch unzufriedener Parteimitglieder wird daraus eine Mördergrube machen. „Im offenen Forum“, schreibt Probst, „eröffnete man ein Trommelfeuer gegen Troedel“, welche ist die Fraktions-Chefin zu Bremen. Wisse: alle distanzierten Beobachter werden sich dieses unerschöpflichen Fundus bedienen. Und das schmälert dein Ansehen.

6. Du sollst keine Schuhkartons benutzen!

7. Achte die Erfahrung!

Mache es nicht wie in Bremen, wo die jüngste der Abgeordneten die meisten Fraktions-Ämter auf sich nahm. Es könnte sie überfordern. Und dazu führen, dass andere beleidigt schmollen.

8. Du sollst verinnerlichen, dass Partei und Fraktion zwei unterschiedliche Paar Schuhe sind.

In Bremen dachte die Basis: Okay, die sind gewählt. Soll’n die mal machen. Oder mir ’n Job rüberwachsen lassen. Die außerparlamentarische Arbeit, die Unterschriftensammlung fürs Sozialticket zum Beispiel, kam weitgehend zum Erliegen. Das sollte dir nicht passieren. Denn dann verstreuen sich deine Truppen gegen das Kapital.

9. Dein Fraktionsvorstand soll sich den modernen Technologien der Kommunikation gegenüber aufgeschlossen zeigen.

Und diejenigen, die aus ideologischen Gründen den neuen Formen der Technologie abhold sind, solltest du nicht im „Ausschuss für Informations- und Kommunikationstechnologie und Medienangelegenheiten“ platzieren, wie die Bremer ihre Troedel, die jenem Gremium vorsitzt, obwohl sie mit der Außenwelt nur per Kombifax verkehrt und E-Mails verschmäht.

10. Du sollst dich schnell auf Büroräume und -möbel verständigen!

Entscheide schnell und im Kollektiv und leiste dir notfalls einen Feng Shui-Berater. Denn ob es dem Einzelnen dann gefällt, oder nicht – was der gemacht hat ist richtig und folgt strengen Regeln. Sonst ergeht es dir wie der Bremer Fraktion, die sich lange über Form, Farbe und Größe ihrer Schreibtische stritt, von welchem Streit sich sich noch immer nicht erholt hat.