ausgehen und rumstehen
: Freie Radikale in Sprayflaschen und der Knilch im Nazitrenchcoat

Die letzte Woche war schwierig. Der englische Psychologe Dr. Cliff Tudor hat herausgefunden, dass der 24. Januar der Tiefpunkt des Jahres ist, und im Nachhinein muss man ihm Recht geben. Dem Forscher zufolge machen Faktoren wie Wetter, Schuldgefühle, Einkommen, der zeitliche Abstand zu Weihnachten und zum Sommer den Tag zum schlimmsten des Jahres. Ein weiterer Faktor, der zur schlechten Laune beiträgt, ist, zwei Wochen auf warmes Wasser verzichten zu müssen. Vor allem wenn es sich dabei nicht um ein freiwilliges Selbstexperiment, sondern um die Tücken der Altbauwohnung und einer kriminellen Hausverwaltung handelt.

Andererseits: Was für ein archaisches Gefühl, immer einen Topf mit Wasser auf dem Herd zu haben und diese alberne Duschroutine einmal zu hinterfragen. Die Haarstruktur verändert sich ins Positive, wenn man die Haare nicht überpflegt, die Haut wird robuster, wenn man nur einmal täglich kaltes Wasser ins Gesicht schüttet. Was natürlich wegfällt ist das rituelle „Sich-Richten“ vor dem Ausgehen, das Duschen, Baden, Abtrocknen, Einbalsamieren, Schminken usw. Weil man sich aber doch ab und zu einmal feierlich zurechtmachen und Wasser an alle Körperstellen lassen will, besinnt man sich auf historische Gewohnheiten der 80er-Jahre. Damals hatten Menschen mit Duschen oder gar Badezimmern immer viel Besuch, denn man verabredete sich mit Handtuch und Duschgel zur Körperpflege in diesen Wohnungen. 2008 kommt man zwar etwas übellaunig in fremden Nassbereichen an, weil es schmerzt, auf die Intimität des häuslichen Wellnessbereichs zu verzichten, aber es ist so arg interessant in fremden Badezimmern! Was für Pflegeprodukte es so gibt! Eine sonst recht unkapriziöse Freundin zum Beispiel besitzt französisches Quellwasser mit freien Radikalen in Sprayflaschen, das man sich zur Erfrischung ins Gesicht sprüht – verrückt! Aber bei einem Duschbesuch kann auch Sozialneid aufkommen, Flakons, Lancôme, Chanel, kostbare Deos, exquisite Peelingcremes bei Leuten, die ständig über ihr prekäres Leben jammern!

Nach diesem Ausflug in die Welt der Körperpflege ging man am Donnerstag dann ins Kim, stand herum, trank, unterhielt und wunderte sich. Ein junger Mann mit Trenchcoat und schwarzer Augenmaske stakste theatralisch durch den Raum, postierte sich auf der Freitreppe und bearbeitete dazu sein Mundinneres mit einem Stäbchen. „Ist es eine Mutprobe, oder haben sich die Junggesellenabschiedsvereine vom Hackeschen Markt schon in die Brunnenstraße verlagert und gleich stürmt eine Horde besoffener Eng- oder Münsterländer herein?“, fragte man sich. Natürlich nicht. Der junge Mann, so erfährt man, ist ein aufstrebender Performance-Künstler aus New York, der nebenher auch Musiker ist. Nun wirkte dieser Knilch zwar wahnsinnig unheimlich und unsympathisch, wie er sich mit seinem Nazitrenchcoat so im Raum aufbaute und die Zähne schrubbte – andererseits ist es nicht wichtig, sondern löblich, wenn sich junge Menschen schon früh um ihr Künstlerimage kümmern, sich einen Tick zu legen, eine Marke, ein Brand werden und sich so unverwechselbar machen? Ist die Kunstgeschichte nicht voll von solchen Beispielen – Dalís Schnurrbart, Andy Warhols Perücke, Blixa Bargelds Hut? Heute lachen wir alle noch verächtlich über den Deppen mit der Schlafmaske und dem Zahnholz, aber die nächsten Generationen werden schwärmerisch sagen: Ja, die goldenen Nullerjahre in Berlin, weißt du damals hat der XY in Mitte gewohnt! Und er ist immer in so eine Bar in der Brunnenstraße gegangen, mit einem Trenchcoat und einer schwarzen Maske und hat die ganze Zeit die Zähne mit einer Wurzel massiert!

CHRISTIANE RÖSINGER