in der taz vor 19 jahren forderte daniel cohn-bendit freiheit für honecker
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Sagt mal, da drüben, habt ihr noch alle Tassen im Schrank? Eine demokratische Revolution beeindruckt die Welt durch ihren Humanismus und nicht durch eine hartnäckige Bösartigkeit, die ihren zügellosen Vandalismus sadistisch auslebt. Zugegeben, Honni und seine Kumpels waren unerträgliche autokratische Bürokraten, die ihr leider zu spät in Rente geschickt habt. Aber, meine Damen und Herren Weltverbesserer aus Leipzig und anderswo, meine Herren Staatsanwälte aus Berlin-Ost und anderswo, wart ihr nicht Teil der gesellschaftlichen Misere, die ihr einem vertrottelten Honni und einem krenzenlos dummen FDJ-Führer alle Macht überlassen habt, weil ihr den autoritären Duktus bruchlos aus dem Faschismus übernommen habt. Laßt sie doch in Ruhe, diese Männer, die euch gequält haben, denn sie sind am Ende: physisch, geistig und menschlich. Rechnet von mir aus mit ihnen ab, indem ihr sie öffentlich zur Rechenschaft zieht, rechnet mit dem Sozialismus, dem Kommunismus, mit Gott und der Welt ab, aber denkt an eine alte Maxime antiautoritärer Erziehungspraxis: Wir wollen kämpfen, aber nicht hinterlistig nachtreten. Sogar im Fußball erhält man dafür die rote Karte.

Also, Jungs von da drüben – Finger weg von Honni! Laßt ihn ausleben. Kauft ihm eine Insel irgendwo im Pazifik. Packt all diese unerträglichen alten Männer einschließlich Castro, Deng und die anderen dazu, und der Sozialismus wird sie selig haben. Wenn wir jeden Menschen, den wir berechtigt hassen, mit einer solchen widerlichen Rachegebärde verfolgen, dann ähneln wir denjenigen, die wir bekämpfen. So wie ich vor Jahren Freiheit für Heß gefordert habe, so sage ich heute: Freiheit für Honni. Denn wenn die Deutschen 1945 einen Bruchteil des Hasses, der jetzt in der DDR hochgespült wird, gegen die Nazis gerichtet hätten, dann wäre die stalinistische Diktatur längst 1968 in einer gesamtdeutschen antiautoritären Revolte untergegangen. Dany Cohn-Bendit, taz 31. 1. 1990