NACH DEN WAHLEN SIND IN DER UNION DIE STRATEGIEDEBATTEN ENTBRANNT
: Zeit für eine Charmeoffensive

Wo war eigentlich Maria Böhmer in den vergangenen Wochen? Jetzt, wo der Wahlkampf in Hessen vorbei ist, übte die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung erstmals leise Kritik an Kochs „Zuspitzungen“. Andere wagen sich weiter aus der Deckung. Gerade haben 17 prominente Unionspolitiker, darunter Ole van Beust und Rita Süsmuth, in einem offenen Brief in der Zeit für einen „neuen Konsens“ in der Integrationspolitik plädiert und sich so von ihrem Parteikollegen Koch distanziert.

Klar ist, dass die Wahlen in Hessen und Niedersachsen Angela Merkels integrativen Kurs in Richtung gesellschaftliche Mitte eindrucksvoll bestätigt haben. Christian Wulff hat gezeigt, wie sich mit einem modern-moderaten Konservatismus bürgerliche Mehrheiten gewinnen lassen, während Koch mit seinem strammen Kontrastprogramm auf Grund lief. Damit haben sich auch innerhalb der Union die Gewichte verschoben.

Manchen in der CDU geht das bereits zu weit, sie machen sogar Angela Merkel für die Stimmenverluste verantwortlich. Ihr „Linksruck“ in Wirtschaftsfragen hätte bürgerliche Wähler verprellt, meint etwa Josef Schlarmann, Chef der Mittelstandsvereinigung der Union. Bizarr wirkt dieses Argument, weil Roland Koch ja gerade nicht mit einem „Linksruck“ gescheitert ist. Aber der Wirtschaftsflügel in der Union ist schon lange unzufrieden: Er findet, dass Merkel in sozialen Fragen zu oft nachgibt und der SPD und ihrer Mindestlohnkampagne zu wenig entgegensetzt. Allerdings: Aus den Wahlergebnissen in Hessen und Niedersachsen lassen sich für Strategiedebatten auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Sozialpolitik für die Union keine eindeutigen Lehren ziehen.

Ganz anders sieht es bei der Integrationspolitik aus. Mit „Integrationsgipfel“ und Wolfgang Schäubles „Islamkonferenz“ hat Angela Merkel hier entscheidende Schritte nach vorn gemacht. Nun muss es ihr gelingen, über reine Symbolik und warme Worte hinauszugehen, wenn sie wirklich das Zusammenleben von Deutschen und ihren Zuwanderern verbessern will.

Bislang konnte man den Eindruck gewinnen, dass es der Union beim Thema Integration eher ums Fordern als ums Fördern ging. Mit immer neuen Appellen und solchen Zumutungen wie der Verschärfung des Zuwanderungsgesetzes aber ist es nicht getan. Maria Böhmer formuliert bislang nur Ansprüche an die Migranten und ihre Verbände; jetzt hat sie von ihnen mehr Einsatz bei der Bekämpfung von Jugendgewalt gefordert. Dabei wäre es langsam an der Zeit, mit dem Charme eigener Konzepte in die Offensive zu gehen – etwa zur Frage, wie sich die Bildungschancen von Einwandererkindern verbessern lassen. DANIEL BAX